6938791-1983_19_06.jpg
Digital In Arbeit

Neue Sowjet-Marschälle

Werbung
Werbung
Werbung

Überraschend für die Außenstehenden wurden in Moskau vor kurzem drei neue „Marschälle der Sowjetunion” und ein „Hauptmarschall für die Artillerie” für die Streitkräfte ernannt.

Dies sind die hochstęn militärischen Ränge in der Sowjetarmee( welche der Sowjetstaat seiner Generalität zu bieten hat. Geschaffen wurde dieser Rang (und Titel) bereits in der Zeit Stalins, im Herbst 1935, als man sich endgültig von der egalitären revolutionären Tradition im Armeewesen entfernt hatte und nach dem bewährten alten (zaristischen) Muster begann, Offiziersränge für das rote Kommandokorps zu verteilen.

Die ersten fünf Sowjetmar- schälle erhielten ihre Ernennungsurkunden am 20. November 1935. Es waren namhafte Heerführer der Roten Armee, von denen drei bereits in den blutigen Säuberungen zwischen 1937 -1939 Opfer der stalinistischen Willkür wurden.

Während des Zweiten Weltkrieges, wo die Rote Armee an der Ostfront Enormes geleistet hatte, ernannte Stalin nicht weniger als 28 neue Marschälle und hat damit in dieser Beziehung Kaiser Napoleon „überrundet”, der es in seinen Lebzeiten nur auf 26 Marschälle brachte…

Um seine Position in der Armee zu stärken, hatte Nikita Chruschtschow im Mai 1955 elf Generäle der Sowjetarmee zum „Marschall der Sowjetunion” ernannt Als er nach 1964 seine persönliche Macht bei den Streitkräften auszubauen begann, sorgte auch Leonid Breschnew dafür, daß von Zeit zu Zeit neue Marschälle ernannt wurden.

Es bürgerte sich während der letzten Jahrzehnte in der Sowjetarmee ein, daß in den höchsten Stellen der Militärhierarchie, zum Beispiel im Verteidigungsministerium, im Generalstab und im Kommandostab des Warschauer Paktes, Marschälle ihren

Dienst tun. Zur Zeit liegt die Zahl der aktiven „Marschälle der Sowjetunion” in den Streitkräften unter 15.

Die vier neuen sowjetischen Marschälle sind eindeutig Proteges des KPdSU-Generalsekre- tärs Jurij Andropow, und ihre Ernennung beziehungsweise ihre Armee-Funktion lassen uns einige interessante militärpolitische Schlüsse ziehen.

So ist Semjon K. Kurkotkin als einer der vielen Stellvertreter des Verteidigungsministers Chef des Rückwärtigen Dienstes der Sowjetarmee, also für die gesamte Logistik verantwortlich. Wassiüj

1 Petrow, der jüngste unter den neuen Sowjetmarschällen, wurde Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte, Inhaber eines Postens also, der unter Breschnew lange Zeit unbesetzt blieb.

Diese Funktion gilt noch heute als ein Eckpfeiler in der breiten sowjetischen Militärhierarchie. Denn der neue „Marschall der Sowjetunion” befehligt das Gros der sowjetischen Streitkräfte, also beinahe zwei Millionen Rotarmisten.

Mit der Ernennung Sergej F. Achromejews zum „Marschall der Sowjetunion” wurde ein neuer Mann mit Gewicht in den sowjetischen Generalstab katapultiert. Und daß der bisherige Armeegeneral Wladimir F. Tolubko zum „Hauptmarschall der Artillerie” ernannt wurde (das ist eine untere Stufe des Ranges „Marschall der Sowjetunion”), hängt mit seiner wichtigen Dienststelle zusammen. Er befehligt nämlich seit Jahren die .Jaust der Sowjetarmee” — die mächtige strategische Raketentruppe der UdSSR.

Wer bei dieser neuesten Mar- schallstem-Verteilung wiederum mit leeren Händen ausgegangen ist, ist der Chef der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetarmee, Armeegeneral Jepischew. Obwohl er diesen Posten seit beinahe zwanzig Jahren innehat, hat ihn bisher weder Breschnew noch Andropow mit dem Marschallstern beehrt.

Die Gründe liegen weniger bei ihm persönlich, als vielmehr bei seiner Dienststelle. Die politische Indoktrination in den Streitkräften ist zwar weiterhin erforderlich, jedoch mit der Festigung des „sowjetischen Nationalismus” und der eisernen Disziplin in der Armee hat sie ihre einstige Wichtigkeit einigermaßen eingebüßt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung