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Rote Armee steht vor dem Ende

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Seit Dezember 1988, als der damalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse vor der UNO neue Abrüstungsvorschläge der UdSSR verlas, sind die Schleusen der Sowjetpresse gegenüber dem Tabu Rote Armee geöffnet. Man berichtete über das Elend der Rekruten, über die Privilegien der Offiziere, über die Rebellion der Jungsoldaten, die nicht mehr gewillt waren, sich von billiger Parteipropaganda beeinflussen zu lassen: Vorstufen zur jetzigen Weigerung von Truppenteilen, den Putsch der Alten Garde mitzutragen.

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Seit Dezember 1988, als der damalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse vor der UNO neue Abrüstungsvorschläge der UdSSR verlas, sind die Schleusen der Sowjetpresse gegenüber dem Tabu Rote Armee geöffnet. Man berichtete über das Elend der Rekruten, über die Privilegien der Offiziere, über die Rebellion der Jungsoldaten, die nicht mehr gewillt waren, sich von billiger Parteipropaganda beeinflussen zu lassen: Vorstufen zur jetzigen Weigerung von Truppenteilen, den Putsch der Alten Garde mitzutragen.

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Nach den Abrüstungsvorschlägen der Sowjets traten die Militärreformer auf die Bühne, die Rote Armee sollte fürs neue Zeitalter gerettet werden. Die innerhalb der Armee bestehenden Nationalitätenkonflikte und andere Mißstände sollten durch eine breitangelegte Demokratisierung überbrückt werden. Ein junger Major namens Vladimir Lopatyn und seine Freunde - Bekannte des Gorbatschow-Clans - begannen Pläne zu schmieden. Man müßte eine neue Rote Armee von Berufssoldaten haben, meinten sie, mit * zahlenmäßig kleinen Einheiten, aber technisch exzellent vorbereitet. Die neue Armee sollte auch vor politisch verrückten Gegnern schützen, zu diesem Auftrag brauchte man doch kein Millionenheer. Auch die vielen Marschälle und das zahlenmäßig enorme Offizierskorps waren damit obsolet geworden. Schließlich müßte man auch die Schmarotzer, die politischen Offiziere eliminjeren. Denn die neue Rote Armee müßte eine unpolitische Armee sein, eine Streitmacht für die Sowjetunion, für das Land - und keine Parteimiliz, in der letztlich die KPdSU die Gewehre lenkte.

Das Ende des Afghanistan-Abenteuers der Roten Armee, die Sowjets hatten 40.000 Soldaten verloren, die daran anschließende Kritik der .Afghanen", die sich von der KP um ihre Jugend betrogen fühlten, sowie die „sanfte Revolution" in Osteuropa trafen die Rote Armee in ihrem Kern: In Afghanistan erlitt die als unbesiegbar geltende Streitmacht eine nicht wiedergutzumachende Schlappe. Aus den Volksdemokratien Osteuropas mußte sie nun abziehen. Das Murren der Soldaten -vom einfachen Rotarmisten bis zum Stabsoffizier - wurde nun aber immer lauter. Doch wen interessierte das. Das Oberkommando der Roten Armee blieb das alte.

Durchkreuzte Reformpläne

Dort versuchte die Generalität die politischen Entwicklungen und insbesondere deren Auswirkungen auf die Armee mit allen Mitteln zu bremsen. Die Presseorgane der Armee hielten sie fest in ihren Händen. „Voennoj istoritscheskij shurnal" (Das Kriegshistorische Blatt) veröffentlichte laufend Artikel, die gegen die Perestrojka und die Demokratisierung standen. Der Parteiaparat im Oberkommando der Streitkräfte und der politische Apparat im Ministerium und in der Truppe, die um ihre Privilegien bangten, unternahmen nun alles, um Gorbatschows Pläne zu durchkreuzen. Man verbündete sich mit den Vertretern des mächtigen sowjetischen Militär-Industrie-Komplexes'und setzte durch, daß der sogenannte Schatalin-Plan -ein Plan zum Übergang von der Zentralwirtschaft zur Marktwirtschaft - im militärischen Bereich keine Gültigkeit hatte. Major Lopa-tyns Reformvorschläge wurden in einer Schublade im Verteidigungsministerium „vergessen". Der „neue Mann" in den Augen der Generalität hieß ab 1989 Oberst Viktor Alksnis, der mit seinem Kameraden, Oberstleutnant Petrusenko, die Entfernung Schewardnadses als Außenminister forderte und die Gruppe „Sojuz" bildete, Sammelpunkt der Ultrakonservativen in der Roten Armee. Beide wollten die Bewahrung der zentralen Macht, keine Nationalgarden, keine selbständigen Unionsarmeen. Sie wollten die Union schützen.

Boris Jelzin, der russische Präsident, hat eine Zuneigung zur Armee. Sein Vizepräsident ist ein junger tatkräftiger Oberst namens Ruzkoj, der selbst in Afghanistan war, den Krieg dort am eigenen Leib erfuhr und eigentlich in jenen fernen Bergen vom Stalinismus geheilt wurde. Er ist ein Patriot, und jetzt, wo es wieder ein Rußland gibt und Jelzin eine eigene russische Armee - vorläufig Nationalgarde genannt - aufstellen will, wird er diesen Ruzkoj bei seinen Plänen exzellent brauchen können.

Übrigens: der neue sowjetische Verteidigungsminister E. J. Schaposchnikow, ein Luftwaffen-Marschall, Oberst der Luftwaffen-Truppeneinheit der Roten Armee, stammt aus einer alten russischen Militärfamilie. Sein Großvater war einst zaristischer Oberst, dann Gründer der roten Generalstabsakademie in Moskau und hatte unter dem Titel „Das Gehirn der Armee" ein hervorragendes Buch über das Thema verfaßt. Sein Enkel - eben besagter Luftwaffengeneral - hat den Staatsstreich gegen Gorbatschow von vergangener Woche insofern vereitelt, als er sich weigerte, Luftlandetruppen - Elite-Einheiten der Roten Armee - rechtzeitig nach Moskau zu bringen und somit die Moskauer Garnison mit Truppen von außen zu verstärken.

Wie der weitere Zerfall der alten Roten Armee weitergehen wird, ob Unions- oder Nationalarmeen entstehen werden, ist noch in Schwebe, eigentlich Zukunftsmusik. Den Historiker erinnert das an den Zerfall der k.u.k. Armee im alten Österreich. Auch der Untergang eines für die Ewigkeit gebauten Imperiums ist für den Historiker nichts Neues.

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