Lebed for President?

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Ein Außenseiter ist wieder im Spiel: Der Haudegen profiliert sich als Rußlands Chance.

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Ein Außenseiter ist wieder im Spiel: Der Haudegen profiliert sich als Rußlands Chance.

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Was wäre von Alexander Lebed zu erwarten, sollte er Boris Jelzins Nachfolger werden? Er verkörpert für viele Russen Ordnung und Ehrlichkeit, gilt als "Demokrat gegen die Demokratie-Nomenklatura" und beendete den Krieg in Tschetschenien.

Während ihn die Widersacher offenbar bereits abgeschrieben hatten, bereitete das strategische Talent Lebed in aller Stille im reichsten Gebiet des fernen Sibirien seine Kandidatur zum Gouverneur vor. Sollte es ihm gelingen, das reiche, aber darniederliegende Gebiet - so wie einst seine Divisionen - wieder funktionstüchtig zu machen, hätte er im Wahlkampf um die Präsidentschaft nicht nur eine politische, sondern auch eine materielle Basis. Krasnojarsk, wo er die Gouverneurswahlen gewann, ist zwanzigmal so groß wie Österreich und reich an Bodenschätzen.

Wer aber wissen will, wie der Mann denkt, erfährt es aus seiner Autobiographie: "Rußlands Weg". Er wurde bekannt, als die junge russische Demokratie am 15. August 1991 in Gefahr geriet und er sich als entschlossener Verteidiger bewährte, indem er mit seiner Luftlandedivision ohne Zögern Partei ergriff. In seinem Buch schildert er die Vorgänge aus seiner Sicht. Er sei vom Oberbefehlshaber der Luftlandetruppen, dem späteren Verteidigungsminister Gratschow, aus dem Urlaub geholt worden, um drei Regimenter für "einen Einsatz im Süden" bereitzustellen, doch wurden sie nach Moskau geschickt - ohne Erklärung, was sie tun sollten. In Moskau bekamen sie Befehl, den Obersten Sowjet zu schützen.

Dort fanden sie eine Menge aufgeregter Zivilisten vor, die in den Soldaten zunächst Putschisten vermuteten. Panzereinheiten hatten ähnlich unklare Befehle erhalten und befuhren ziellos die Straßen um Moskau. Wie Lebed und seine Fallschirmjäger als Verteidiger der Demokratie, wurden die Panzereinheiten später zu Werkzeugen der Putschisten stilisiert.

Lebed sah nirgends Anzeichen eines ernsthaften Putsches der Kommunisten. Das ganze "Theater", meint er, sei in Gang gesetzt worden, um die ehemalige Sowjetunion zu zerbrechen und Rußland als Vormacht zu etablieren - mit Jelzin als Präsident. Das sei ja auch gelungen, obwohl die Bevölkerungen für die Beibehaltung des sowjetischen Staatengebildes gewesen seien.

Will sich Lebed mit seiner Betonung moralischer Werte gegen eine korrumpierte "demokratische Nomenklatur" bloß als Saubermann profilieren? Was er von seinem Leben erzählt, hilft, ihn besser zu verstehen und spricht für ernsthaftes Wollen.

Die Jugend in Nowotscherkassk stand lange im Schatten des Krieges. Der Großvater starb, schwer verwundet, im Lazarett. Die Großmutter hatte aber nur dann Anspruch auf Pension, wenn er an der Front gefallen war. Da er im Lazarett gestorben war, bekam sie nichts. Lebeds Vater war 1937 auf fünf Jahre nach Sibirien geschickt worden, darauf folgte automatisch die Strafkompanie, später wurde er zu regulären Einheiten versetzt.

All diese Ungerechtigkeiten erschütterten noch nicht Lebeds Glauben an Sowjetmacht und Partei. Der Wunsch nach sozialem Aufstieg bedeutete, sich um Aufnahme in eine Offiziersschule zu bewerben. Er bestand alle Prüfungen und begann seine Laufbahn als Instruktor an der Akademie, die er als Hauptmann verließ.

So war es halt, meint er. Der junge Lebed lernte, auf ungerechte Vorwürfe mit Jawohl zu antworten, förderte aber bei seinen Offiziersschülern das Lernen und bemühte sich, ihr Leben zu erleichtern. Die sowjetische Grundhaltung waren Härte und Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben. Tote und Schwerverletzte bei Übungen schienen außer ihm niemanden zu beunruhigen.

Was er als Kommandeur eines sowjetischen Bataillons in Afghanistan berichtet, mag in vielem dem ähneln, was ein kritischer US-Offizier vom Krieg in Vietnam erzählen würde. Er findet allerdings, daß die "Ehre der Roten Armee von Bauern und Soldaten" unbefleckt aus diesem Krieg hervorging. Lebed sieht das politische Abenteuer, "eine Revolution, die schon vor dem Bankrott stand, zu exportieren", als Anfang vom Ende.

Er kam mit einem legendären Ruf bei Untergebenen wie Vorgesetzten zurück und wurde mit seiner Fallschirmdivision in die Krisenzonen geschickt: Tiflis, Baku und immer wieder Georgien, wo ständig ethnische Konflikte ausbrachen. Es war die Zeit des Zerfalls aller Werte. Dieser hatte in Lebeds Sicht allerdings bereits vor dem Afghanistankrieg begonnen.

Er wurde Generalmajor und von der Armee ins Zentralkomitee der russischen KP geschickt, wo er aber nicht lange blieb. Am Ende der zweiten Plenarsitzung fragte er sich: "Wie konnte es zu einem derartigen Verfall der Staatsführung und anschließend des ganzen Volkes kommen? Warum wurde die Doppelmoral zur Norm?"

Eine Delegation zweier französischer Generäle beeindruckt ihn durch Bescheidenheit. Er quetscht sie aus, will die französische Armee verstehen. Auch Colin Powell, der damalige Vorsitzende der Vereinigten US-Stabschefs, beeindruckte Lebed. Er sollte Luftlande-Manövern beiwohnen, bei seiner Ankunft herrschte jedoch Sturm, ein Springen schien unmöglich, doch Gratschow, der Chef der Luftlandetruppen, entschied: "Befehl ausführen!" Colin Powell sprang auf und schrie: "Was machen Sie da?" Gratschows Befehl wurde ausgeführt. Bilanz: Ein Toter, elf Schwerverletzte.

Lebed wurde schließlich in Transnistrien, dem Ostzipfel Moldawiens mit russischer Bevölkerungsmehrheit, eingesetzt. Seine Weigerung, sich von Berichten, die der Wahrheit entsprachen, zu distanzieren, brachte Jelzin und dessen Getreue so in Rage, daß Lebed Mitte 1995 aus der Armee entlassen wurde.

Dank seiner Popularität hatte er nun aber politisches Gewicht, attackierte Jelzin in den russischen Wahlen, wurde Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates und konnte den Krieg in Tschetschenien beenden, worauf sich Jelzin seiner schleunigst wieder entledigte. Mit untauglichen Mitteln, wie sich nun zeigt. Die entscheidende Phase in Alexander Lebeds Comeback hat begonnen.

RUSSLANDS WEG Von Alexander Lebed Verlag Hoffmann & Campe gemeinsam mit Spiegel Verlag, Hamburg 1997 574 Seiten, geb., öS 423,-

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