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Wohin mit der Sowjet-Geister-Armee?

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Die Ex-Sowjetunion - bestehend aus neun ehemaligen Sowjetrepubliken und zusammengefaßt in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) - hat drei diverse militärische Organisationsschemen beziehungsweise Systeme. Was sind die heutigen Probleme der ehemaligen Roten Armee (später: Sowjetarmee)?

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Die Ex-Sowjetunion - bestehend aus neun ehemaligen Sowjetrepubliken und zusammengefaßt in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) - hat drei diverse militärische Organisationsschemen beziehungsweise Systeme. Was sind die heutigen Probleme der ehemaligen Roten Armee (später: Sowjetarmee)?

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Es gibt Ex-UdSSR-Staaten, die gar nicht zur GUS gehören, völlig unabhängig sind und unter anderem auf den Aufbau eigener Nationalarmeen hinarbeiten - wie zum Beispiel die drei baltischen Republiken oder Georgien. Hier gibt es allerdings Probleme mit den dort stationierten sowjetischen Soldaten, deren Abzug Ex-Präsident Michail Gorbatschow 1991 versprochen hat und der teilweise auch planmäßig abgewickelt wurde (siehe Kasten unten).

Erst jetzt tauchen Schwierigkeiten auf: Präsident Boris Jelzin stoppte unlängst in den baltischen Ländern den weiteren militärischen Abzug. In Moskau weiß man nicht genau, wohin man diese Garnisonen verlegen soll. Die nationalen Armeen innerhalb der Grenzen der ehemaligen Sowjetunion versuchen dagegen ihre Militärprobleme ohne Hilfe von Moskau zu lösen, wollen ihr Land ohne russische Soldaten sehen.

Die sogenannte GUS-Armee, die ehemalige multinationale Rote Armee, die in dem noch von Moskau „kontrollierten" GUS-Bund existiert, wird heute noch von Moskau besoldet und mit Militärnachschub versorgt. Die Uniformen der Soldaten der GUS-Armee sind heute noch identisch mit derjenigen der Sowjetarmee - einschließlich dem roten Stern an der Mütze und auf dem Koppel. Höhere Offiziere haben recht gute Gehälter, teilweise ihre Privilegien beibehalten und mischen sich -mit wenigen Ausnahmen - nicht in die Politik ein.

Offiziere niederer Ränge haben in erster Linie private Probleme. Zum Beispiel: wie wird die Wohnungsnot und die Einschulung der Familie mit Kindern gelöst, wenn sie früher oder später innerhalb der GUS umgruppiert werden? Der russische Staat kann hier nicht helfen.

Die GUS-Truppen zählen heute zirka 1,5 Millionen Mann. Genaue Angaben existieren nicht. Meistens sind dies Truppenteile, die man in den letzten Jahren aus Ost- und Mitteleuropa abziehen mußte. Die meisten Soldaten haben nur feldmäßige Unterkünfte, zum Beispiel Waldlager (auch im Winter). Offiziersfamilien wurden in evakuierte Schulgebäude

einquartiert. Es kommt öfter vor, daß in ehemaligen Klassenzimmern zwei Offiziersfamilien samt Kindern untergebracht sind. Das mitgebrachte Kriegsgerät wird notdürftig in Scheunen und ungeeigneten Werkshallen abgestellt. Die Karriere-Chancen für

junge Offiziere in der GUS-Armee sind nicht gerade rosig (siehe Kasten links).

Wenn die GUS zerfällt

Die GUS-Armee wird vom Marschall der Luftwaffe Schaposchnikow befehligt. Ein jüngerer, ziemlich robuster Mann. Er will und kann keine eigene Militärpolitik machen, denn das Geld, mit dem er die Armee bezählt, kommt aus Moskau. Von der Russischen Föderation. Also von Jelzin. Die GUS-Armee ist also nichts anderes als der verlängerte (militärische) Arm innerhalb der verbliebenen Sowjetrepubliken der Ex-UdSSR. Die GUS-Armee will sich offiziell in die zahlreichen bürgerkriegsähnlichen Situationen im einstigen Sowjetimperium nicht einmischen. Aber sie tut es dennoch: ungern und mit wenig Überzeugung.

Die Zukunft der GUS-Armee ist also ungeklärt und meines Erachtens alles andere als auf längere Zeit haltbar. Wenn Moskau, Präsident Jelzin, eines Tages die Geldquelle schließt, wenn in Deutschland keine GUS-Truppen mehr stationiert sind und selbst die GUS auseinanderfällt - die Anzeichen dafür mehren sich - wozu dann noch eine Geister-Armee, GUS-Armee genannt?

Die Russische Föderation - bestehend aus 21 Nationalitäten - hat dagegen noch heute eine ansehnliche Streitmacht. Man spricht von 2,5 Millionen Soldaten. Im Moskauer Militärbezirk leben zur Zeit 40 Millionen Menschen, fast ein Drittel der Bevölkerung der Föderation. Der seit 1991 amtierende Verteidigungsminister, Armeegeneral Pawel Gratschow, mit einem Marschallstern (das heißt, er

ist bereits auf bestem Weg, Marschall zu werden), ist ein relativ junger Mann, Günstling von Jelzin. Er hat hochtrabende Ziele für die Zukunft. Er will die Russische Armee bis zum Jahr 1997 auf 1,5 Millionen Mann reduzieren. 75 Prozent dieser Russischen Armee sollten, wenn finanziell möglich, Berufssoldaten sein. Die Armee müsse gut bewaffnet sein und mindestens aus 50 Prozent schnell beweglichen und somit rasch reagierenden Verbänden bestehen.

Probleme mit Raketen

Was geschieht mit dem Raketen-Arsenal der ehemaligen Sowjetarmee?

Heute sind vier Republiken der ExUdSSR im Besitz von Atomwaffen -darunter auch Interkontinentalraketen. Die Vereinbarungen, wonach alle Atomwaffen auf dem Staatsgebiet der Russischen Föderation deponiert und später teilweise vernichtet werden sollen, wurden bis heute kaum befolgt.

Probleme gibt es mit der Verteilung der Schwarzmeer-Flotte und mit den Besitzverhältnissen der Krim. Die Ukraine - vorläufig noch GUS-Mitglied - will die Kriegsflotte (etwa 300 Schiffe) und will weiterhin die Krim, die 1955 Chruschtschow in einer seiner launischen Momente einfach der Ukraine geschenkt hatte. Die Ukraine hat eine gut ausgerüstete Armee von 500.000 Mann, gutes Industriepotential (einschließlich Kriegsindustrie) und nicht zuletzt ein Atomwaffen-Arsenal.

Probleme gibt es dann noch mit der Kriegsindustrie: mit dem sogenannten militärisch-industriellen Komplex. Dieser wurde unter Leonid Breschnew (1965 bis 1982) ausgebaut, ist völlig unrentabel, obwohl er die besten Wissenschaftler beschäftigt und gutes Grundmaterial hat. Hinter dem Ural, weit weg vom europäischen Rußland, sind riesige Anlagen noch voll in Betrieb und werden von Moskau finanziert - nicht deswegen, weil man heutzutage in der russischen Hauptstadt unbedingt Panzer-Massen und MiG-29 Kampfflugzeuge benötigt, sondern weil niemand weiß, welche zivilen Produkte man herstellen soll. Hinter dem Ural - sagte man mir - ist das Leben gleich wie vor Gorbatschows Sturz (1991). Nur die KP wurde aufgelöst. Aber KP-Sekretäre sind heute Vorsteher von Stadt-Sowjets.

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