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Flottenzwist und Krimfrage

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Rußlands Parlament hat die von Chruschtschow 1954 verfügte Übergabe der Halbinsel Krim an die Ukraine für ungültig erklärt. Am Wochenende hat die Regierung der Ukraine Verhandlungen über die Krim scharf zurückgewiesen. Die Lage zwischen den beiden GUS-Mitgliedern ist gespannt. Abgesehen von der Krim-Frage belastet noch die Frage der Schwarzmeerflotte die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew.

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Rußlands Parlament hat die von Chruschtschow 1954 verfügte Übergabe der Halbinsel Krim an die Ukraine für ungültig erklärt. Am Wochenende hat die Regierung der Ukraine Verhandlungen über die Krim scharf zurückgewiesen. Die Lage zwischen den beiden GUS-Mitgliedern ist gespannt. Abgesehen von der Krim-Frage belastet noch die Frage der Schwarzmeerflotte die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew.

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Die ehemalige Sowjetunion besaß vier große Flottenverbände: die Flotte auf dem Stillen Ozean, die Baltische Flotte, die Asowsche Flotte und die Flotte am Schwarzen Meer. Letzterer Flottenverband umfaßt 380 „Schiffeinheiten" und zählt 75.000 „Seesoldaten", also Marine-Angehörige - eine ansehnliche Kräfteballung; denn in keiner der westlichen Flotten - außer derjenigen der USA - finden wir heute (in Friedenszeiten) so viele in Einsatz stehende Kriegsschiffe und einen so hohen Personalstand.

Die Ukrainer behaupten, ihre Kosaken haben bereits im 17. Jahrhundert mit leichten Booten und befestigten Flößen ihre Seegrenzen verteidigt. Die Russen schwören auf ihren Zar Peter den Großen, der in der Gegend von Asow bereits Schiffe gegen die Aufständischen eingesetzt hatte. In Wirklichkeit waren die ersten sogenannten Kriegsschiffe - und zwar russischen Ursprungs - unter Katharina II. auf dem Schwarzen Meer erschienen. Das war im Jahre 1771. Viele Lorbeeren erntete die russische Marine am Schwarzen Meer nicht, obwohl sie sich gerne martialisch gab. Im Krim-Krieg 1851 wurden die Russen von einem westlichen Expeditionskorps quasi geschlagen. Der einzige Verlierer war die russische Schwarzmeer-Flotte. Sie wurde vom britisch-französischen Gegner vernichtet.

Das 20. Jahrhundert war für die russische Schwarzmeer-Flotte voller Dramatik. Im Jahre 1905 rebellierten auf einem Kriegsschiff die Matrosen. Sie inszenierten wegen der schlechten Ernährung einen Aufstand, ermordeten zahlreiche Offiziere und kaperten das Schiff namens „Potemkin". Der Panzerkreuzer landete schließlich im rumänischen Hafen Constan-za. Die Matrosen liefen auseinander. Das Schiff wurde nach längeren Verhandlungen den russischen Behörden zurückgegeben.

Im Ersten Weltkrieg befehligte Admiral Koltschakdie Schwarzmeer-Flotte. Er war auch derjenige, dernach dem Zusammenbruch des zaristischen Regimes im März 1917 Front gegen die Bolschewiken machte. Später wurde der weiße General Denikin Herr über die Krim und somit auch über die Flotte. Da die Matrosen der Schwarzmeer-Flotte damals zu 80 Prozent ukrainischer Nationalität waren, wurden die Schiffen mit der eigenen Nationalflagge, blau-gelb, beflaggt.

Während des Bürgerkriegs landeten französische Truppen in Odessa und an anderen Orten Süd-Rußlands. Sie versuchten, den weißen Truppen zu helfen. Die Schwarzmeer-Flotte blieb jedoch in den Händen der „weißen" Russen. General Denikin befehligte diese und als die ausländische Unterstützung für die weißen Generäle eingestellt wurde und die Rote Armee die Initiative ergriff, verblieb 1920/21 nur noch die Krim in den Händen von Denikins Soldaten. Aber dann kam das Ende. Niemand half mehr. Die Rote Armee überrannte die Nord-Befestigung der Krim und die Weißen evakuierten ihre Soldaten samt Familien mit den Schiffen nach Westen.

Man flüchtete übers Meer in die Türkei, wo die Weißen vorübergehend als Internierte Aufnahme fanden. Die Westmächte waren an den Weißen nicht mehr interessiert. Lenin etablierte sich in Moskau. Man begann mit dem Sowjetstaat Handel zu treiben und die ersten politischen Verträge - angeführt von den Amerikanern - wurden unter Dach und Fach gebracht.

Die Schwarzmeerflotte jedoch begann in Istanbul (es hieß damals noch Konstantinopel) zu verrosten und verrotten. Die Sowjetmacht in Moskau hat erst ab 1928 damit begonnen, eine neue Schwarzmeerflotte aufzustellen. Während des Zweiten Weltkrieges konnte die Kriegsflotte keine besonderen Meriten für sich verbuchen. Die Deutschen hatten auf dem Schwarzen Meer nur sehr wenige für militärische Zwecke geeignete Schiffe, die Rumänen verfügten zwar über eine bescheidene Kriegsmarine, aber sie wurde auch nicht besonders offensiv. Die Matrosen der roten Schwarzmeerflotte hatten sich dafür insbesondere bei der Verteidigung von Odessa und Sewastopol hervorgetan.

Verrostet in Istanbul

Nach dem Krieg würde Sergej Gor-skow Flottenkommandant der Schwarzmeerflotte, eine militärische Persönlichkeit mit strategischem Weitblick. In den letzten Jahren des Krieges kommandierte er die Donau-Flottille der Roten Armee und seine Schiffe nahmen an der Belagerung von Budapest, Preßburg und Wien teil. Nach Stalins Tod 1953 wurde die Schwarzmeerflotte unter seiner Obhutausgebaut. Admiral Gorskow wurde später Oberbefehlshaber der gesamten sowjetischen Kriegsmarine.

Unter der Parteiführung von Leo-nid Breschnew (einem Kriegskameraden Gorskows) baute der Admiral die strategische Kriegsmarine der Sowjetunion aus. Auch in seiner zentralen Stellung vergaß Gorskow „seine" Schwarzmeerflotte nicht. Sie wurde ständig verstärkt und als künftiger Gegner der im Mittelmeer operierenden 6. US-Flotte angesehen.

In den neunziger Jahren erreichte die Schwarzmeerflotte eine ansehnliche Militärkraft. Ihren Kern bilden jene 45 großen, mit Nuklearraketen bestückten Kriegsschiffe, die man noch als „zeitgemäß" betrachten kann. Die U-Boot-Flottille hingegen ist veraltet, besitzt aber noch solche Boote, die die Fähigkeit haben, Atomraketen abzufeuern. Die Flotte hat eine starke und gut ausgebaute Marine-Luftwaffe mit modernsten Flugzeugen (60 TU-22M Backfire Bomber), dazu noch eine Marineinfanterie-Brigade und eine Küstenschutz-Division. Der Stolz der Schwarzmeerflotte ist der Flugzeugträger „Admiral Kusnezow", der aber (um spätere Diskussionen im Keim zu ersticken) bereits im Dezember 1991 von Sewastopol auf dem Seeweg nach Kronstadt im Norden Rußlands verlegt wurde.

Neue Schiffe werden zur Zeit nicht in Dienst gestellt. In den sechs Mari-

newerften der Ukraine wurden ab 1. Februar 1992 alle Arbeiten an Kriegsschiffen eingestellt.

Die Zukunft der Flotte ist bis zum heutigen Tag ungewiß. Moskau vertritt die Meinung, man sollte die Schwarzmeerflotte auf eine strategische und eine taktische Flottille aufteilen. Letztere sollte als Küstenwache unter ukrainischem Befehl.stehen. Die strategische Schwarzmeer-flotte dagegen sollte Rußland befehligen. Die Ukraine hingegen beansprucht theoretisch die gesamte Flotte, ist aber nicht fähig, für ihre Kosten aufzukommen. Flottenkommandant Admiral Kasatano w hat in erster Linie finanzielle Probleme. Er müßte die Gehälter und den Sold seiner Leute zahlen, bislang hat er aber nur aus Moskau Geld erhalten - und auch nur so viel, daß er die Ausgaben des ersten Quartals des Marine-Budgets für die Schwarzmeerflotte bestreiten konnte.

Nach neuesten Nachrichten existiert die Armee der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) nur auf dem Papier. Rußlands Präsident Boris Jelzin hat vor kurzem die Gründung einer „Russischen Armee" bekanntgegeben. Das Schicksal der Kriegsflotte muß jetzt in den nächsten Wochen oder Monaten endgültig entschieden werden.

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