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Kein Königgrätz zur See

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Enttäuscht, verbittert, noch im Delirium Zahlen vor sich hinmurmelnd, Summen, die er zur Modernisierung der österreichischen Flotte benötigte und die nicht aufzubringen waren, starb am 7. April 1871 ein einsamer Mann, ein ewiger Junggeselle, ein Patriot, der nur für seine Aufgabe, sein Vaterland gelebt hatte, an einer Lungenentzündung.

Für viele, die Wilhelm von Tegetthoff nur flüchtig gekannt hatten, war es fast ein Schock, als sie sein wahres Alter erfuhren. Der Mann, den man in seinen letzten Lebensjahren noch ohne weiteres für einen hohen Fünfziger halten konnte, war, als er starb, nur 44 Jahre alt.

Er ging als „Nelson Österreichs” in die Seekriegsgeschichte ein, und militärisch gesehen war der Sieg von Lissa Nelsons Erfolg durchaus vergleichbar. Es war die Tragödie Tegetthoffs, daß er die große Schlacht seines Lebens gewann, als König- .grätz zu Lande bereits alles entschieden hatte. So mußte die politische Bedeutung seines Erfolges gering bleiben. Dabei wußte Tegetthoff, als seine Flotte schwarzer Schiffe in einer sturmgepeitschten, grauen Adria der grauen italienischen Flotte entgegenfuhr, daß alle Voraussetzungen für ein Königgrätz auch zur See gegeben waren. Die Italiener werfen zwölf Panzerschiffe in die Schlacht, die Österreicher nur sieben. Zwei davon sind mit veralteten Rohren ohne Drall ausgerüstet. Die modernen Geschütze waren bestellt und lagen fertig bei Krupp — Bismarck hat sie beschlagnahmen lassen, um die Lieferung an die Österreicher zu verhindern. Vor zwei Jahren noch hat Tegetthoff bei Helgoland Seite an Seite mit den Preußen gegen die Dänen gekämpft. Jetzt sieht alles anders aus.

Die Panzerschifte „Erzherzog Ferdinand Max” und „Habsburg” könnten genauso gut unbewaffnet gegen die Italiener anrennen. Ihre Artillerie ist ungefährlich. Es ist bezeichnend für Tegetthoff, sein ganzer Charakter ist in dieser einen Handlung eingeschlossen, daß er eines dieser Schiffe zu seinem Flaggschiff erwählt hat.

Ein Teil der österreichischen Schiffe ist mit alten Eisenbahnschienen und an die hölzernen Bordwände genagelten, ausgedienten Ankerketten „gepanzert”. In den letzten Monaten hatten die Schiffe oft nicht genug Kohle für Übungsfahrten. Die „Novara” ist nach einem Sabotageakt und Brand notdürftig instandgesetzt.

Aber während bei Königgrätz zur besseren Bewaffnung der Preußen dig überlegene Führung kam, hat an diesem nebligen, windigen, regnerischen Tag, der der österreichischen Kriegsmarine die größte Niederlage ihrer Geschichte bringen kann, die schwächere Flotte den besseren Chef. Er kannte seine Schwächen genau und verwandelte sie in Stärken.

Die Taktik von Lissa ist nicht nur militärisch logisch. Es ist auch die Taktik, die am besten dem Charakter des Mannes entspricht, der sie ersann. Denn Tegetthoff war ein hochintelligenter Draufgänger. Zur See: ein Angreifer par excellence. Geboren in Marburg. Die Vorfahren: Offiziere. Wilhelm von Tegetthoff selbst: auf eigenen Wunsch „Zögling” im Marinekadetten-Kollegium von Venedig. Zum Ehrgeiz gesellte sich das Fernweh. Der große Förderer war Erzherzog Ferdinand Max, Franz Josephs jüngerer Bruder, der mit 22 Jahren das Marineoberkommando übernahm und Tegett- hoffis überragende Begabung schnell erkannte. (Tegetthoff war um fünf Jahre älter.) Tegetthoff war aber auch ein außerordentlich scharfer politischer Beobachter. Fünf Jahre vor Lissa übernahm er das Oberkommando über die österreichische Levante-Flotte und den Berichten, die er aus Griechenland nach Hause schickte, wird entscheidende Bedeutung für Ferdinand Maxens Entscheidung, die griechische Königskrone abzulehnen, nachgesagt. Erscheinung und Auftreten Tegetthoffs, der immer wesentlich älter gewirkt hat als er war, hatte zweifellos Anteil an gewissen Episoden, die ihm früh Beachtung verschafften. In Sullna erzwang der junge Linienschiffsleutnant von einem griechischen Schiff, das die Österreicher beleidigt hatte, Entschuldigung in Form von 21 Salutschüssen. Als er bei Syra die britische Mittelmeerflotte passierte und der Flaggengruß des österreichischen Raddampfers nicht erwidert wurde, sandte er Konteradmiral Sir Houston Steward ein derart geharnischtes Schreiben daß es ebenfalls zu einer formellen Entschuldigung kam.

Die Schlacht von Helgoland (Österreich führte damals den Vorsitz im deutschen Bund, es ging um den Zankapfel Schleswig-Holstein) hätte

Tegetthoff ursprünglich unter Konteradmiral Bernhard von Wüllers- torff-Urbair mitschlagen sollen, da sich Wüllersdorf verspätete, schlug Tegetthoff sie so gut wie allein. Es war die letzte Seeschlacht der Geschichte zwischen hölzernen Schiffen, Tegetthoff hatte nur acht moderne Geschütze, die Dänen hatten 26. Wie später bei Lissa kämpfte schon an diesem 9. Mai 1864 Tegetthoffs Flaggschiff in vorderster Linie, zeitweise mit lichterloh brennendem Mast. Die Österreicher beklagten 37 Tote, die Dänen nur 14, aber nicht die Österreicher, sondern die Dänen zogen sich aus der Nordsee zurück. Bei Lissa standen zum ersten Male eiserne Kriegsschiffe einander gegenüber. Das Flaggschiff passiert am frühen Morgen des 20. Juli 1866 die Reihe der übrigen Fahrzeuge und setzt sich an die Spitze des Geschwaders. Die Schiffskapellen spielen das „Gott erhalte…”, die Seeleute entern Strickleitern und Masten, um dem Admiral zuzujubeln. Tegetthoff schwenkt seine Mütze nach allen Seiten. Auf dem Weg zur Schlacht läßt er jedem Mann noch einmal eine warme Mahlzeit reichen. Auf seinem Flaggschiff geht er an zwei kauernden Matrosen vorbei und hört, wie der eine zum anderen sagt: „Heute haben wir Freitag, Unglückstag, das kann nicht gut ausgehen!” Tegetthoff bleibt stehen und sagt: „Glaubst du vielleicht, bei den Italienern ist Sonntag?”

Eine mächtige Nebelwand verhüllt die feindlichen Flotten voreinander bis zum letzten Augenblick. Um 10 Uhr hebt sich der Nebel plötzlich. Tegetthoffs Gegner Pesano sieht drei Keile schwarzer Schiffe direk! auf sich zukommen. In diesem Augenblick verlassen ihn die Ner-

ven und er setzt vom seinem Flaggschiff „Re d’Italia” auf die stärker gepanzerte „Affondatore” über, dieser Entschluß rettet ihm das Leben, aber er kostet vielleicht die Schlacht, trägt jedenfalls zur Niederlage bei. Der Admiralswimpel flattert nämlich vorläufig weiterhin vom Mast der „Re d’Italia” und in der Verwirrung werden die Anordnungen von der „Affondatore” nur von einem Teil der italienischen Schiffe befolgt. Die Österreicher nähern sich so schnell, daß auch Tegetthoff nicht mehr alle Signale setzen kann. Nach dem „Klar zum Gefecht!” und dem „Mit aller Kraft fahren!” und schließlich dem „Feind anrennen und zum Sinken bringen!” (Das

Wort Rammen ist noch nicht in Tegetthoffs Vokabular) steigt von der Botschaft „Muß Sieg von Lissa werden!” nur das Wort „muß” am Mast empor, der Rest geht im Nahkampf unter.

Wilhelm von Tegetthoff hat diese Schlacht so geleitet, wie ihn Romako gemalt hat: Breitbeinig auf der Kommandobrücke, neben dem Kommandanten seines Flaggschiffs, Freiherrn von Sterneck, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Er verschwendet keinen Gedanken an seine eigene Sicherheit, das Flaggschiff beteiligt sich an der Rammaktion, die „Palestro” wird knapp verfehlt, fliegt aber dann unter einem Treffer in die Luft, auch ein paar andere Schiffe bringen sich mit knapper Not vor dem unter Wasser weit vorragenden Rammspom der „Ferdinand Max” in Sicherheit, bis die „Re d’Italia” vor ihr auftaucht — die Schrauben laufen rückwärts, ein Ausweichen ist unmöglich. Der Bug des österreichischen Flaggschiffes bohrt sich tief in die Seite des italienischen Panzerschiffes, wird aber sofort wieder zurückgezogen, und vor den Augen Tegetthoffs schießen die Wassermassen in das Leck. Ein Teil der Besatzung rettet sich mit Kopfsprung. Der Kapitän bleibt verwundet auf der Brücke stehen. Zwei Minuten später ist die ,.Re d’Italia” verschwunden.

Der Angriff in Keilformation, mit Durchbrechen der feindlichen Lime und Auflösung der eigenen Formation in einer Vielzahl individueller Rammstöße, macht es den Italienern unmöglich, ihre überlegene Feuerkraft auszuspielen. Auch ihre zahlenmäßige Überlegenheit verliert ihren Wert. Die Kommandanten können sich nur noch auf ihre Ausweichmanöver konzentrieren. In dieser Schlacht kommt es sogar zum ersten und einzigen Male in der Seekriegsgeschichte zum beabsichtigten Rammstoß eines hölzernen Kriegsschiffes gegen einen stählernen Gegner: Von italienischen Panzerschiffen eingekreist, bringt Anton von Petz das größte österreichische

Schiff, die „Kaiser”, altersschwach, aus Holz, man würde ihr auf den ersten Blick Zutrauen, schon zu Nelsons Zeiten die Meere befahren zu haben, auf diese Weise in Sicherheit. Das österreichische Schiff wird schwerer beschädigt als das italienische, erreicht aber sicher den Hafen. Während der ganzen Zeit hatte Wilhelm von Tegetthoff ein Telegramm in der Tasche, eingelangt eine halbe Stunde vor dem Auslaufen zur Schlacht, die der Verteidigung des angegriffenen Stützpunktes von Lissa galt, wobei niemand genau wissen konnte, ob es sich nicht doch um einen Ablenkungsangriff handelte, der die österreichische Flotte von Pola weglocken sollte. Das Tele-

gramm lautete: „Auf allerhöchsten Befehl nach eigenem Ermessen handeln. Wegen Demonstration gegen Lissa nicht auslaufen.” Einem deo- eindeutigsten Siege des neunzehnten Jahrhunderts ging, wie man sieht, eine der zweideutigsten Ordres voraus. Tegetthoff hielt sich nur an den ersten Teil und schlug den zweiten Teil in den Wind. Auch das war typisch für ihn.

Die Bilanz an Menschenleben: 612 Tote auf italienischer, 38 auf österreichischer Seite. Ein winziger Bruchteil, verglichen mit der Zahl derer, die bei Königgrätz ihr Leben verloren. Zwei Wochen vorher. Damals waren die Würfel gefallen.

Aber bei Lissa wurde nicht nur Österreichs militärisches Prestige gerettet, sondern auch Österreichs Position bei den nachfolgenden Verhandlungen verbessert. Es ist durchaus möglich, daß ein auch bei Lissa besiegtes Österreich schon damals, 80 Jahre vor dem Ende des zweiten Weltkrieges, Südtirol verlören hätte.

Wie so manches andere verdankt Österreich diesen Sieg nicht vorausschauender Planung der obersten verantwortlichen Stellen, sondern dem Genie und der Tatkraft eines einzelnen Mannes.

Es wurde ihm so manche hohe Auszeichnung zuteil und so mancher ehrende Auftrag, der Auftrag, den er selbst für den ehrendsten hält: Tegetthoff bringt 1867 die Leiche des toten Kaisers Maximilian von Mexiko, Ferdinand Max, in die Heimat zurück. Die Studien- und Besichtigungsreisen, zu denen er im Lauf seines Lebens hinausgesandt wurde, ließen jedoch manchmal den Eindruck entstehen, daß man daheim mit ihm nicht genug anzufangen wußte.

Und auch mit so mancher Studie, die Tegetthoff nach seinen Expeditionen verfaßte, wußte man daheim nicht genügend anzufangen. So fand Tegetthoff in der Insel Sokotra im Indischen Ozean einen geradezu idealen Stützpunkt für die österreichische Schiffahrt, in beherrschender Lage vor dem Ostausgang des Roten Meeres einen vorzüglichen Ausgangspunkt für die Erwerbung von Kolonien in Afrika, dessen Aufteilung erst gut zwei Jahrzehnte später be- g mn.

Ferdinand Max unterbreitete dem Kaiser eine diesbezügliche Denkschrift, in der auch der Hinweis niicht fehlte, Tegetthoffs Feststellungen zufolge sei die Insel für 100.000 Taler auf friedlichem Weg zu haben. Um die konkurrierenden Mächte nicht auf die Wichtigkeit des Unternehmens aufmerksam zu machen, wurden Tegetthoff und Heuglin nach der Heimkehr nicht mit einem Orden ausgezeichnet, sondern mit einem Geldgeschenk geehrt. Sonst geschah nichts. Eine Entscheidung oder Nichtentscheidung, die nach allem, was man damals wußte und wissen konnte, falsch war und fünfzig Jahre falsch blieb. Hundert Jahre später allerdings erwies sie sich als möglicherweise sogar sehr weise.

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