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Festhalten, Boris Nikolajewitsch!
„Rußland spielt absurdes Theater", schrieb in der neuen deutschen Zeitung „Die Woche" Christoph Neidhart, „und die ganze Welt gerät in Panik." Darüber freilich sollte man sich nicht übermäßig wundern. Es ist ein bißchen viel Spielzeug im Spiel, mit dem man nicht nur Theaterdonner machen kann.
Außer in Rußland selbst, das auch nach ersten Atomwaffenzerstörungsaktionen aufgrund des START-Vertrags mit den USA die zweitstärkste Atommacht der Welt geblieben ist, lagern auf dem Gebiet der Ukraine, Weißrußlands und Kasachstans mehr als 2.500 strategisch einsetzbare Atomsprengköpfe, und dazu noch 100 Tonnen Plutonium und 500 Tonnen hochangereichertes Uran. Gewiß: offiziell unter GUS-Kommando und mit dem offiziellen Versprechen versehen, die drei Nachbarstaaten Rußlands würden diesem die endgültige Atomhoheit überlassen, ihre Arsenale vernichten und dem Atomwaffensperrvertrag beitreten.
Noch zögern sie freilich alle. In unsicheren Zeiten wie diesen tut keiner den ersten Schritt. Ein Rüstungsexperte der Ukraine wird sogar mit dem undiplomatischen, aber wahrscheinlich sehr wirklichkeitsnahen Satz zitiert: „Entweder wir werden eine Kolonie von Rußland oder wir werden eine Atommacht." Niemand weiß, auf welche Abenteuer sich eine russische Militärregierung einlassen würde. Konflikte mit Nachbarn sind für die meisten Despoten die willkommenste Ablenkung von internen Eigenbauproblemen.
Zwei Meldungen aus jüngster Zeit haben uns schlagartig klargemacht (obwohl sie in Österreichs Medien nahezu untergingen), wie unstabil die Weltlage militärisch heute ist.
Südafrikas Regierung hat erstmals offiziell zugegeben, was ohnehin alle Welt seit Jahren vermutet hat: Das Land hat nach 1974 sechs Atombomben gebaut, diese mittlerweile aber, so wird behauptet, wieder vernichtet. Das Fachwissen ist freilich weiterhin vorhanden. Und zwei einstige US-Geheimagenten plauderten aus, daß 1990 Indien und Pakistan an der Schwelle eines atomaren Schlagabtausches standen, was „viel beängstigender als die Kuba-Krise von 1962 war".
Bedenkt man, daß neben den USA und Rußland, die ihre Nukleararsenale verringern, Großbritannien und Frankreich die ihren ausbauen wollen und daß neben Süfafrika, Indien und Pakistan zweifellos auch Israel heute de -facto-Atommacht ist, dazu aber Nordkorea, Irak, Iran, Libyen, Algerien, Brasilien und Argentinien an der Schwelle dazu stehen, dann ahnt man, wieviel ungetane Diplomatenarbeit noch auf ihre Meister wartet.
In den GUS-Staaten haben geschätzte 10.000 bis 15.000 Wissenschafter Zugang zu militärischen Atominformationen. 60 von ihnen wurden vor kurzem in letzter Minute an einer Reise nach Nordkorea gehindert. Ein Touristentraum, mitten im Winter? - Halt' dich fest, Boris Nikolajewitsch Jelzin. Auch in unserem Interesse!
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