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Gehschule der Moderne

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In Wien versucht jetzt das Historische Museum der Stadt Wien eine Neubewertung des Wiener Klassizismus und vor allem seiner großen natürlich nicht nur aus Österreich stammenden Architekten, Dekorateure, Bildhauer. Was sie alle, diese Meister eines klaren, sachlichen, fast kühlen Geschmacks vertraten, war edle Gemessenheit der Proportionen, die Schönheit der vorwiegend geraden, ungebrochenen Linie. 420 Objekte dieser bedeutungsvollen Schau demonstrieren, welch erlesene Qualität in Österreich zwischen 1770 und 1835 zur Entfaltung kam.

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In Wien versucht jetzt das Historische Museum der Stadt Wien eine Neubewertung des Wiener Klassizismus und vor allem seiner großen natürlich nicht nur aus Österreich stammenden Architekten, Dekorateure, Bildhauer. Was sie alle, diese Meister eines klaren, sachlichen, fast kühlen Geschmacks vertraten, war edle Gemessenheit der Proportionen, die Schönheit der vorwiegend geraden, ungebrochenen Linie. 420 Objekte dieser bedeutungsvollen Schau demonstrieren, welch erlesene Qualität in Österreich zwischen 1770 und 1835 zur Entfaltung kam.

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Wie abschätzig, desinteressiert und abwertend hat man doch den Begriff „Klassizismus“ und diese einst ruhmreiche Epoche der Wiener Architektur und Kunst noch bis vor kurzem betrachtet. Klassizismus galt als „ Ubergangsphase“ vom gewaltigen Formen-und Farbenrausch des Barock und Rokoko zur nächsten gewaltigen Kulturepoche Österreichs, der Ringstraßenzeit. Als Sammelsurium von Einflüssen tat man den Klassizismus gern ab und übersah, daß so viele Stile nur aus dem „Sammelsurium“ der Einflüsse ihre überwältigende Viel-schichtligkeit bezogen: griechisch-römisch Antikisierendes gehörte hierher, Napoleons klassischer Reichsstü, Empire, Einflüsse des Orientalischen (etwa durch die Entdeckung der ägyptischen Kunst durch die Franzosen), Etruskisches, Frühformen der Romantik in mittelalterlicher Verpackung...

Vielen schien dieser Klassizismus als phantasielos-kühle Ubergangsphase, früher Historismus sozusagen. Und wie diesen behandelte man auch die Bauleistungen des Klassizismus in Wien: Meisterleistungen wie das Palais Lubomirsky auf der Mölkerbastei, die herrliche Liechtenstein-Villa im Prater oder das Palais Liechtenstein in der Herrengasse (heute Hochhaus) wurden noch vor dem ersten Weltkrieg demoliert; das prachtvolle Palais Esterhazy-Erdödy in der Wiener Kru-gerstraße fiel 1955, Erzherzog Karls märchenhafte Weilburg wurde nach

dem zweiten Weltkrieg gesprengt, das Palais Czartoryski in Währing, das fer-dinandeische Haus mit dem Cafe Goethe auf der Mariahüfer Straße und vieles andere in den fünfziger Jahren demoliert.

Erst in den sechziger Jahren bahnte sich (mühevoll!) ein Umschwung in der Bewertung an. Man erkannte die Modernität des Klassizismus. Vorbildlich wirkte die Londoner Europarat-Ausstellung „The Age of Neo-Classi-cism“.

Die Bauleistungen wie die Skulpturen sind zwar deutlich eingespannt in jene aufklärerisch-rationalistische Entwicklung, die von Frankreich aus Europa eroberte (wie viele Anklage an Ledoux und Boullee finden sich hier), nur am Rande macht sich der nicht minder wichtige Einfluß Palladios bemerkbar, der über England in Mode kam; aber die Eigenständigkeit dieses Reichszentrums Wien, die wienerische Spielart des Klassizismus, zeigt sich dann doch imponierend. Man braucht nur Beispiele wie Canevales Wiener Josephinum, Hohenbergs Gloriettebau oder sein Palais Pallavicini zu prüfen, oder Kornhäusels Universitätsbibliothek und Montoyers überwältigend schöne Gestaltung des Zeremoniensaals der Hofburg, der mit den kostbarsten Bauleistungen Europas dieser Zeit konkurrieren kann.

Die Stärke des Wiener Klassizismus liegt ja nun auch darin, daß er nicht einfach eingebrochen ist, nicht appli-

ziert wurde. Lange wirkten hier Kräfte, die ihn vorwegnahmen. Durch Fischer von Erlach, der Palladios Denken erbte, durch den Einfluß eines Jadot, oder durch den domonierenden klassischen Geschmack der Georg-Raffael-Don-ner-Schule an der Wiener Akademie. Denn von Donner führte der Weg direkt zu Franz Anton Zauber, der - nur ein Beispiel - etwa in seinem Kaiser-Josef-Denkmal den Wiener Reliefstil zur Vollendung führte.

Was sich geistesgeschichtlich hinter dem Klassizismus verbirgt, läßt sich hier nur andeuten: zum Beispiel ein völlig neues Verhältnis zur Farbe in der Malerei, das sogar einen so sinnlichen Künstler wie Maulpertsch in sein Joch zwang, eine Art „Reinigung“

nach dem Barock also! Zugleich eine Autonomie der Künste, wie sie bis dahin nicht existiert hatte.

Im Klassizismus artikuliert sich erstmals das moderne Bürgertum; Masse tritt in Erscheinung; mit der erstmals aktuellen Schulreform beschäftigt sich etwa Leopold von Tos-cana, der spätere Kaiser Leopold II., der „Zweckbau“ wird erfunden und dementsprechend werden Formprinzipien im Sinne der „Natürlichkeit“ entwik-kelt Und im wirtschaftlichen Bereich aktivieren gerade die Künste für sich das traditionsreiche Handwerk und die neue Industrie: Kißling, Schaller und Nußpaumer etwa setzen sich für die österreichischen Marmorbrüche ein; Eisen (billiger als Bronze) wird als Material für den Kunstguß entdeckt; Kaiser Franz baut sein Palmenhaus als Eisenkonstruktion und so weiter. Was eigentlich alles Symptome für die große Revolution der „modernen“ Kunst sind, die den Barock endgültig ablösen half. Eine faszinierende Epoche also, in der geistig der Grundstein für das moderne Europa gelegt wurde. Sozusagen die Gehschule der Moderne.

Eigentlich schade, daß sich diese Ausstellung nur auf Architektur und Plastik beschränkt.

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