6813921-1972_49_14.jpg
Digital In Arbeit

Konflikt und Kontinuität

Werbung
Werbung
Werbung

Es kann kein Zufall sein, daß eine der ambitioniertesten Ausstellungen der Täte Gallery und eine der räumlich und, thematisch größten, die je in London überhaupt zu sehen waren, praktisch am gleichen Tag anliefen. Die 14. (und letzte) Ausstellung des Europarats unter dem Titel The Age of Neo-Classicism findet in der Royal Academy, im Victoria and Albert Museum und drei kleinen Museen statt, und ihr Katalog — ein mehr als 1000 Seiten starker Wälzer im Lexikonformat — enthält den deutschen Beitrag zu dieser wichtigen und starken Bewegung von Winckelmann bis Klenze als Quelle und Mitströmung im großen Strom der europäischen Entwicklung. Das Werk des in England fast unbekannten Caspar David Friedrich ist ein Stück der deutschen Strömung, und so sehr man die deutsche romantische Malerei — weit mehr noch als die französische — als Verrat am eben erkämpften klassischen Ideal sehen wollte, so sehr wirkt Friedrich im Zusammenhang — und in der rein örtlichen Umgebung der Klassik, ein Paar U-Bahnstationen entfernt — als der große und einsame Visionär der Landschaft als Ewigkeitssymbol.

Der Konflikt zwischen klassischer und romantischer Kunst hat noch in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts zu erbitterten Kämpfen im Grenzland von Kultur und Politik geführt, und im Frankreich der Action Frangaise sowie im England der „Männer von 1914“ — Ezra Pound, Wyndham Lewis und T. S. Eliot unter anderen — zu einer anfechtbaren und unsinnigen Polarität, die sich, bei aller Uberholtheit, nie ganz ausgeglichen hat. Und wenn die jetzigen beiden Ausstellungen nichts anderes erreichten, als die große Kontinuität der geistigen Manifestationen an Beispielen zu demonstrieren, dann hätten sie ihren Zweck erfüllt. Daß sie weit mehr erreichen, nämlich einen Uberblick über die für Europa entscheidenden hundert Jahre von etwa 1750 bis 1850 zu geben, versteht sich von selbst.

In den beiden Haupthäusern sind rund 2500 Exponate zu sehen, und jeder Versuch, die nach persönlicher Überzeugung „wichtigsten“ hervorzuheben, scheitert a priori am Gewicht dieser Zahl. Um eine Vorstellung von Umfang und Planung zugeben, sei erwähnt, daß die Schau in der Royal Academy mit den geistigen Trägern des Zeitalters, den Philosophen, Historikern und Theoretikern beginnt, über das zeitgenössische Porträt und ~ Genrebild, über Archäologie und Mythologie zu den Schlüsselepochen, das heißt „Revolution und Empire, 1780 bis 1850“ und „Bildhauerei um die Mitte des 19. Jahrhunderts“ gelangt, sich in einem faszinierend klaren Film über Stadtplanung mit konzisem Begleittext verbreitert und — in der sogenannten Diploma Gallery im 2. Stock — mit dem „neoklassizistischen Haus'1' und der „neoklassizistischen Vision“ endet. (Diese letztere ist durch ein Modell von Boullees gigantischem Zenotaph für Newton symbolisiert.)

Der deutsche Beitrag, von Doktor Wend von Kainein, dem Direktor des Kunstmuseums Düsseldorf mit Hilfe von sechs Fachberatern in zweijähriger Arbeit zusammengestellt, umfaßt zirka 300 Gegenstände aus fast allen großen Museen und Bibliotheken der Bundesrepublik und zahlreichen Privatsammlungen, wie die Schäfersche in Schweinfurt.

Auf Grund der offiziellen Aufstellung liegt der Akzent auf der deutschen Landschaftsmalerei: durch Koch, Hackart, Reinhardt, Schinkel und andere repräsentiert, so daß sich von hier aus der Bogen zu Caspar David Friedrich am klarsten und am versöhnlichsten spannt. Auch die Bennertsche Kopie von Tischbeins „Goethe in der Cam-pagna“ (das Original im Städelschen Kunstverein darf nicht reisen), gehört zum klassizistischen Konzept der landschaftlichen Harmonie, trotz der immer wieder rührenden Feststellung, daß das linke Bein sehr viel länger ist als das rechte — ein kleines ironisches Glanzlicht auf dem edlen Gleichmaß ... (Dr. von Kainein trug den überaus wertvollen Artikel über die Architektur im Zeitalter des Neo-Klassizismus zum voluminösen Katalog bei.)

Im Victoria and Albert Museum sind die angewandten Künste, die Gegenstände des täglichen Lebens, ausgestellt, von der Wiege des Königs von Rom bis zu seiner Reiseausrüstung, einschließlich der Kerzenhalter und der Klistierspritze in Silber, vergoldet, von den prunkvollen Möbeln des Empire bis zum Porzellan, den Bettüberzügen und den Gardinen — die aristokratische Komponente im Neo-Klassizismus und im status nascendi des bürgerlichen Zeitalters betonend.

Eine Spezialausstellung von Möbeln im Osterley Park House, eine intime Schau „Lady Hamilton“ im Schloß Kenwood und die Hamilton-Sammlung im British Museum ergänzen ein Londoner Ereignis, auf das nur in einem Uberblick hingewiesen, nicht aber geschildert oder beschrieben werden kann. Es ist eine Reise wert, oder besser: zwei.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung