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Mahler - schnittiger denn je

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Im Musizieren Leonard Bernsteins hat sich in den zwei Jahren, die wir ihn in Wien nicht mehr hörten, eine Menge gewandelt. Kannte man ihn bisher als großen „Leidenden”, der Mahlers Werk mit ungeheurem theatralischem Aufwand, mit dem Auskosten aller Ekstasen und hymnischen Verklärungen zu gestalten, nein, zu bezwingen trachtete, so präsentierte sich nun im Philharmonischen im Musikverein ein neuer Bernstein: Sein Dirigieren wirkt gelöster, weniger besessen, an die Stelle des Schweigens und Verschwelgens in einem Rausch von Farben und einem „Meer von Tränen” ist ein wenig artistische Kalkulation getreten.

Gerade Mahlers „Siebente”, sicher die festlichste seiner Symphonien — in ihrem Duktus und in der Helle und Pracht des Klangs sogar noch festlicher als die mystisch versponnene „Achte”, die Bernstein 1975 in Salzburg dirigieren wird —, braucht nun aber tatsächlich ein Gegengewicht gegen alle Leidenschaft, gegen den Kult der Emotionen, gegen das bis in die Resignation führende Auskosten, weil die von Mahler ersehnte Katharsis nicht eintreten kann; Bernstein vermag diesen Gegenpol nun sehr überzeugend zu schaffen. Erstens steuert er jetzt die Riesenform des Werks nicht mehr so sehr aus dem Gefühl, sondern aus dem kritischen Erkennen und Freilegen der komplizierten Zusammenhänge und Verschränkungen heraus; zum zweiten bedeutet das, daß er die Philharmoniker zu einem schlankeren, schnittigeren Spiel anhält, daß die Mischung zwischen artistischem Prunk und echter Gefühlstiefe stärker herausgearbeitet wird. Die kühnen Farbenmischungen blitzen jetzt schärfer denn je, die Oberfläche wirkt glatter poliert als in seinen Konzerten und früheren Film-Einspielungen („Dritte”, „Fünfte”, „Neunte”), die Wiedergabe gleichsam reifer, entschlackter, mehr geläutert.

Beide Aufführungen dieser „Siebenten” waren vor allem auch gesellschaftliche Ereignisse; Prominenz drängte sich, dabei zu sein. Festliche Garderoben waren Trumpf und dreißig Scheinwerfer verwandelten zugleich den Musdkverein in ein tropisches Filmstudio, in dem der Maestro — übrigens vor knallig roten Logenverkleidungen — den ersten Teil seiner Wiener Super-Mahler- Show abzog.

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