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Pulverfässer im Schifflein Petri

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Während der Gestapo-Akt „Dr. Franz Jantsch, Pfarrer von Vöcklabruck, geb. 24. August 1909“ einen Umfang annahm, daß vielleicht eine weitere Anzeige und Vorladung auf den Morzinplatz schon genügt hätte, ihn abzuschließen und Jantsch ins KZ nach Dachau oder Buchenwald zu verschicken, erhielt eben dieser mutige Prediger und Seelsorger eine hohe literarische Auszeichnung: Für die Erzählung „Sein Schatten“ wurde Franz Jantsch im Kriegsjahr 1943 der Adalbert-Stifter-Preis verliehen.

An eine Veröffentlichung war damals nicht zu denken, da bald nach dem Anschluß Österreichs an das „Reich“ alle nicht nationalsozialistisch ausgerichteten Schriften verboten worden waren. Bis dahin hatte Jantsch vorwiegend für die vom Seelsorge-Pionier, Ubersetzer und Herausgeber Dr. Karl Rudolf geleitete Pastoralzeitschrift „Der Seelsorger“ geschrieben - über Themen wie „Die moderne sakrale Kunst“, „Die Versuchung der Macht“ (1935!), „Die Apokalypse“ und ähnliche aktuelle Probleme, die sich zum Teil auch aus seiner theologischen Dissertation über Dostojewskij ergeben haben mochten.

Nach dem Krieg war es dann Friedrich Funder, der Franz Jantsch einlud, für die „Furche“ zu schreiben: „Schau'n Sie, wir sitzen am Schreibtisch da, Sie stehen im Leben drinnen. Sie kommen an die Leute heran, und die Leute kommen an Sie heran. Schreiben Sie etwas davon: aus dem Leben; von den Menschen, wie sie heute leben!“

Damit begann eine Periode, in der der Erzähler Jantsch zahlreiche -^Geschichten, die das Leben schreibt“ verfaßte: Kurzgeschichten, novellenartige Erzählungen, Romane -bis hin zu den Büchern über seine Pilgerfahrten in das Heilige Land und zu den großen Marienwallfahrt-orten. Selbst seine religiösen Sachbücher und die Beiträge für die verschiedensten Zeitschriften sind stark vom Erzähler und Prediger Jantsch

Das Gesamtwerk des jetzt 70jähri-gen Pfarrers und Schriftstellers umfaßt 26 Bücher und „mindestens'1000 Geschichten und Aufsätze“; die meisten davon erschienen zwischen 1945 und 1965. Wer sich einmal in eine Auswahl aus diesem Gesamtwerk vertieft, ist von der Lebensnähe, von der Tiefe und Echtheit der Aussagen, von der Herausforderung und Hinführung zum Wesentlichen, die in all seinen Schriften enthalten sind, beeindruckt. Sicher unterscheidet sich seine Sprache von der anderer, insbesondere jüngerer Schriftsteller; Jantsch hat an der literarischen Form und am sprachlichen Ausdruck auch nie lange herumgefeilt. Aber wer sich von der Lebendigkeit seiner Sprache einmal einen Eindruck verschaffen will, besuche (in der Südstadt oder der Hinterbrühl) eine Sonntagsmesse, in der Jantsch predigt: er wird betroffen, vielleicht schockiert und zum Widerspruch herausgefordert sein; aber er wird von dem, was Jantsch sagt und wie er es sagt - indem er mit umgehängtem Mikrophon vor dem Altar auf und ab geht, im Erzählstil wichtige theologische Fragen behandelt, im nächsten Augenblick die Zuhörer im Dialekt mit der Forderung des Evangeliums hier und heute konfrontiert - nicht so schnell loskommen.

Vielleicht unterscheidet ihn das von den meisten anderen Schreibern: Jantsch ist zugleich Schriftsteller, Schauspieler und Prediger. Er macht die Fragen, Probleme und Erfahrungen, die die Menschen haben, zu seinen eigenen, reflektiert und meditiert sie und gibt dann seine Antwort, die den Hörer zum Nachdenken anregt. Er beschreibt weniger sein Leben, sondern das Leben, wie er es erfährt, wie es ihm begegnet.

Jantsch selbst führt seine literarische Begabung auf seine Mutter zurück: „Ihre Briefe waren von einer unerhörten Klarheit. Sie hat das geschrieben, was wirklich interessant war. In kurzen Sätzen hat sie das geschrieben. Da waren alle Fakten da, und da war auch die Stimmung da. Vom literarischen Standpunkt die Sache, auf die es wirklich ankommt.“

Obwohl Jantsch selbst nicht zwischen „profanen“ und „religiösen“ Schriften unterscheidet - „in der

Tiefe geht alles ineinander über“ -, sollen die beiden Romane und drei religiöse Schriften kurz vorgestellt bzw. in Erinnerung gerufen werden.

Jantschs erster Roman „Auf dem Veitsberg“ wurde über Anregung von Friedrich Funder geschrieben und zunächst in der „Furche“ in Fortsetzungen veröffentlicht. Im Leben und Suchen eines Schriftstellers, der seine Frau verlassen hat, wird das Schicksal vieler Heimkehrer aufgearbeitet. Dabei soll gerade auch die Begegnung mit der Natur und die Offenheit für menschliche Not den Menschen zu sich selber kommen lassen. Dem zweiten Roman gab der Verleger den Titel „Aber, aber, Herr Schuster“, während Jantsch selbst für diesen Schelmenroman den Titel „Schuster sucht das Reich Gottes“ vorgezogen hätte und ihn damit ausdrücklicher in die Reihe von Werken wie „Don Quijote“, „Der Idiot“ oder „Der Narr in Christo“ stellen wollte. Gerade in diesem prophetischen Buch werden Aussagen gemacht, die auch heute höchst aktuell sind, da die Gefahr einer Entfremdung des Menschen von sich selbst immer größer wird und Slogans wie „einfacher leben“ nicht nur zum Programm kirchlicher Bewegungen, sondern zum Leitmotiv für viele Jugendliche und Erwachsene werden.

Und noch in anderer Weise mag Jantsch mit diesem Werk der Zeit voraus gewesen sein: Er hat zwar nicht im Dialekt geschrieben, da die damalige Mundartdichtung über Wald- und Wiesengedichte nicht hinauskam und man sich mit der Verwendung des Dialekts ihnen zugesellt hätte, wohl aber.hat Jantsch mit der Trivialität des Stiles, mit einer möglichst nahen Wiedergabe dessen, was und wie die Leute denken und sprechen, spätere Tendenzen der Literatur vorweggenommen.

Unter den „religiösen“ Geschichten seien zunächst die „Märchen vom lieben Gott“ genannt. Mag für uns etwa die Geschichte von der Hand, die abgehackt wird, weil sie gegen das Gebot des Königs Almosen gab, dann aber wieder nachwächst, ungewohnter klingen als jene vom Mädchen, das vom Wolf verschlungen wird - etwas mehr Gottvertrauen und Hoffnung würde uns und unseren Kindern vermutlich nur gut tun. Der Sammelband „Nikodemus - Ein Pfarrer erzählt“ enthält neben tiefen menschlichen Begegnungen auch die Geschichte, wie Jantsch vor einem seiner Gestapo-Besuche vorsorglich sein Radio verpackte und auf den Dachboden stellte.

Tief betroffen kehrten im vergangenen Herbst die Teilnehmer an einer „Israel-Fahrt“ mit Franz Jantsch heim. Mit dem Buch „Ich komme aus Jerusalem“ hat Jantsch vor bald 30 Jahren den Lesern einen Eindruck vermittelt, warum dieses Heilige Land solch große Gestalten hervorgebracht hat, wie hier uralte Kulturstätten von den Vätern Israels zu ihren eigenen gemacht wurden und warum dieses Land für Juden, Christen und Moslems so heilig ist.

„Ja, und warum bekommt man von diesem Franz Jantsch seit vielen Jahren nichts mehr zu lesen?“, könnte einer mit Recht fragen. Weil er sich stärker den Menschen - insbesondere in seinen zwei Pfarren Hinterbrühl und Südstadt - zugewandt hat und dort seine Zeit für Hausbesuche und persönliche Gespräche, für die Förderung und Vertiefung verschiedenster Runden und Gruppen und insbesondere auch für die Predigt verwendet und das persönliche und unmittelbare Echo für wichtiger hält als die meist viel zu milde Kritik auf ein Buch - obwohl er sich durchaus bewußt ist, daß die Lesergemeinde , seiner Bücher ungleich größer war als die jetzigen Hörergemeinden. Als weiteren Grund gibt Jantsch selbst an, daß er sich mit seinen Geschichten doch sehr lange und (besonders auch in der Nacht) intensiv beschäftigt hat. Mit der Beendigung der Schriftstellerei hoffte er, seine in Gestapo-Vorladungen wurzelnde Schlaf losigkeit doch noch zu überwinden. Zudem wollten ihn die Verleger zu Themen überreden, die ihn nicht interessierten und von deren Wichtigkeit sie ihn nicht überzeugt haben.

Mit Reinhold Schneider möchte ich diesen kurzen Weg durch die 45 Jahre dauernde Schriftstellerei von Franz Jantsch beenden: „Wir hatten eine gute Rast in dem Schlößchen des Hochw. Herrn von H...“ (Winter in Wien.) Und wenig später: „Immer wieder treffe ich auf Priester, die der inneren Situation, der solche Vorstellungen entkeimen, nicht fern sind. Ihr Verständnis reicht um Dimensionen über ihre Repräsentanz; das ist ein Trost; im Laderaum führt das Schifflein Petri seltsame Fracht, Pulverfässer; ...“

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