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Sensibilisierte Bereiche

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Im frühherbstlichen Alpbach ist heuer eine Rede gehalten worden, die insofern überraschen konnte, als sich in ihr von hoher, nahezu höchster Stelle die Sorge über die Verwilderung unseres massenmedialen Vokabulars zu Worte meldete. Thema der Rede: Schutz und Bedrohung der Menschenwürde unter dem Aspekt der Pressefreiheit.

Minister Broda hat diese Rede gehalten. Selbstverständlich ging er dabei von den in der Menschenrechtskonvention festgelegten Grundrechten aus, also vom Recht auf freie Meinungsäußerung, vom Recht auf Medienfreiheit. Er hatte dabei freilich auch auf den Schutz hinzuweisen, der von derselben. Menschenrechtskonvention der Intimspäre des Einzelnen gegen die Medien gewährleistet wird.

Daß sich hier eine Zone heikler Überschneidungen ausbreitet, wissen wir. Auch der Minister wies auf Heikles hin: Erstaunlich, so sagte er, sei die Verwilderung der Sprache, deren sich die Kriminaljoumalistik bediene, ihre Terminologie werde dem kriminellen Milieu angeglichen. „Die Ausdrücke ,Häfen”, ,Häfen-Brüder’, ,Häfen-Ur- lauber” sind mit einer Leichtfertigkeit und Selbstverständlichkeit in die journalistische Schriftsprache übernommen worden, die frappieren. Man braucht sich über die .volkserzieherischen” Auswirkungen nicht weiter zu wundem. Die .Ganovensprache” hates immer gegeben; daß sie von der Tages- joumalistik rezipiert wird, ohne daß es dagegen merkbaren Widerspruch gibt, ist unserer Zeit Vorbehalten geblieben.” - Und weiter unten: „Kein gesellschaftlicher Bereich ist, Was die Bedrohung der Menschenwürde betrifft, so exponiert und so sensibilisiert wie Strafverfahren und Strafvollzug.” Man möchte sagen: sehr gut! Uber das Unglück des Mitmenschen, sei er Täter oder Opfer, und über die Modalitäten des Strafvollzugs sollte jeweils mit abwägendem Emst berichtet werden. Wie aber, so muß hier auch gefragt werden, wie steht es um das Vokabular in anderen Bereichen des menschlichen Lebens? An welche Sprachregelungen haben wir uns da gewöhnen müssen? An welche Terminologien hat man nun schon seit Jahr und Tag unsere Jugend herangeführt, und niemand hat die Massenmedien daran gehindert, das Vokabular einer als überfällig angepriesenen rationa len Aufklärung ganz unter der Hand in das Rotwelsch einer rabiaten Pomo- philie zu verwandeln und die Dimen- und Zuhältersprache in die ganze Gesellschaft, einschließlich ihrer jüngsten Jahrgänge, hineinzupumpen? Auch hier „braucht man sich über die volkserzieherischen Auswirkungen nicht zu wundern”. Auch diese Bereiche - und ich möchte meinen, sie vor allen - sind anfällig, „sind exponiert und sensibilisiert”, weil sensibilisierend, hinsichtlich dessen, was wir (noch!) unter Menschenwürde verstehen.

Freilich: ist die hier geübte „Leichtfertigkeit und Selbstverständlichkeit” als Effekt grundrechtlicher Freiheit zu verstehen und deshalb unantastbar? So argumentiert man im allgemeinen. Aber: Garantieren dieselben grundrechtlichen Freiheiten andernteils nicht auch einen Schutz der Intimsphäre?

Vermutlich hat sich hier eine zu kurzschlüssige,, zu enge Auffassung dessen durchgesetzt, was unter Intimsphäre zu verstehen ist. Die Intimsphäre des Einzelnen ist ja nicht nur dort betroffen, wo es um seinen Namen, seine Feststeilbarkeit, um seine private Identität geht. Die Intimsphäre reicht weiter, und zwar bis in die das Weltbild des einzelnen konstituierenden Schichten der Persönlichkeit. Wenn dort mit pausenloser Besetzung durch Sprache und Bilder von brutaler Grobschlächtigkeit operiert wird, können die Folgen nur verheerend sein.

Das Ich des Menschen ist verletzlicher als wir denken; wenn wir sein kulturelles Klima verderben, ist er in seinem Intimbereich mitgefährdet, mitbeleidigt, mitentwürdigt.

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