6864959-1977_51_09.jpg
Digital In Arbeit

Van Agt kann sich auf die Liberalen verlassen

Werbung
Werbung
Werbung

Im Konzert der liberalen Parteien Europas (gemischter Chor mit klei- hem Orchester, ohne Stardirigent) werden die tragenden Stimmen der niederländischen „Volkspartei für Freiheit und Demokratie“ (WD) vielfach zu unrecht überhört. Mit fast 99.000 zahlenden Mitgliedern, 17,95 Prozent der Wählerstimmen und 28 von 150 Sitzen in der Zweiten Kammer, ist die VVD nach der sozialistischen PVDA (53 Sitze) und dem christdemokratischen CDA (49 Sitze) die drittgrößte Gruppierung im Parlament der Minderheiten. In der neuen Koalitionsregierung mit dem CDA stellt die WD sechs Minister und fünf Staatssekretäre.

Auf dem Parteitag in Breda haben der Vorsitzende Korthals Altes und der neue Fraktionsvorsitzende Riet- kerk in überzeugender Weise die volle Unterstützung des Regierungsprogrammes zugesichert. Der neue Ministerpräsident Dries van Agt kann sich auf Hollands Liberale verlassen. Dagegen ist der sich schon seit längerer Zeit als notwendig erweisende Selbstreinigungsprozeß bei den Christdemokraten immer noch in vollem Gange. Fusionen brauchen meistens länger, und da die Verschmelzung der drei christlichen Parteien (Katholische Volkspartei, Evangelische Antirevolutionäre und Christlich-Historische Union) mit dem CDA eine Reihe von organisatorischen Problemen aufgeworfen hat,, die erst 1980 ein vollwertiges Funktionieren als Gesamtpartei zulassen werden, braucht man sich über gewisse Erscheinungsformen parteiinterner Verunsicherung nicht zu wundern. Jeder einsichtige Mensch wird Verständnis dafür haben, daß die Ordnung im eigenen Hause noch nicht zur Zufriedenheit aller hergestellt ist.

Parallel zu den Liberalen haben die Christdemokraten in Amsterdam ihren Parteitag abgehalten. Beide Parteitage waren schon seit Monaten geplant, erwiesen sich aber in der Zufälligkeit des Datums als ungewollte, zugleich aber höchst willkommene Anläße, das Spitzenduo van Agt-Wiegel stürmisch zu umjubeln. Doch die Freude ist nicht ungeteilt. Die knappe Mehrheit von 77 Sitzen ist durch das

Zögern von sieben Christdemokraten (die sich als „Loyalisten“ bezeichnen) gefährdet. Eingeweihte sprechen schon von zehn oder elf Abgeordneten, die der Regierungskoalition kritisch gegenüberstehen und das Kabinett „loyal an Hand seiner Taten beurteilen wollen.“ Dazu gehört auch der neue Fraktionsvorsitzende des CDA, Wimaantjes, dessen Parteitagsrede die von ihm selbst verursachten Zweifel nicht völlig aus dem Weg räumen konnte. Er und viele evangelische Antirevolutionäre erwiesen sich im Verlaufe des Parteitages als immer noch schwankend zwischen der Freude am Regieren und der Trauer über die mißglückte Koalition mit den Sozialisten. Im Interesse christdemokratischer Politik und der gemeinsam mit den Liberalen zu tragenden Verantwortung richten sich nun die Hoffnungen der Wähler auf van Agt, dessen Führungsstil mithelfen soll, die Einheit der Christdemokraten angesichts der bereits von Den Uyl angekündigten Oppositionsangriffe zu bewahren.

Es muß daher denn auch nicht geringe Verwunderung geweckt haben, daß der Vorstand des CDA wenige Stunden vor Beginn des Parteitages über die Niederländische Nachrichtenagentur ANP verbreiten ließ, er habe sich von den Strauß-Äußerungen in Chile distanziert. Der auf diese Weise konditionierte Parteitag hatte denn auch keine Mühe, den vom CDA-Vorsitzenden Steenkamp „herzlich anempfohlenen“ Antrag der CDA-Jugend Limburg, Strauß wegen seiner „die Ideale der Christdemokra- tie verwerfenden“ Äußerungen über Chile zu rügen, mit überwältigender Mehrheit anzunehmen.

Selbstverständlich ist es das unbestrittene Recht eines Parteitages, sich zu innen- und außenpolitischen Problemen aller Art zu äußern. Ob der hie- für gewählte Zeitpunkt (žwei Tage vor der Vereidigung des neuen Kabinetts) nun unbedingt als günstig angesehen werden mußte, darüber gingen nach dem Parteitag die Meinungen bereits auseinander. Vielleicht - so war zu hören - hätten die Parteivorsitzenden Steenkamp und Strauß besser erst einmal miteinander telephoniert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung