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Der seit August dauernde Wahlkampf in der Türkei verlief in einer relativ ruhigen innenpolitischen Atmosphäre. Dies ist zweifellos ein Verdienst der derzeitigen Koalitionsregierung unter der Führung des parteiunabhängigen Ministerpräsidenten Suat Hayri Ürgüplü. Die seit Februar dieses Jahres amtierende und ursprünglich als Übergangskabinett gedachte Regierung erwies sich wider Erwarten als erstaunlich aktionsfähig und hat vor allem in außenpolitischer Hinsicht gewisse Erfolge zu verzeichnen. So ist es Ürgüplü gelungen, in der Zypern--frage Zeit und Verständnis für den türkischen Standpunkt zu gewinnen. Sein Besuch in Moskau hat die Beziehungen der Türkei zur Sowjetunion auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet weitgehend gebessert und die Bestätigung erbracht, daß Moskau im Zypernkonflikt die türkische These teile, wonach die Insel unabhängig bleiben müsse. Die Normalisierung des Verhältnisses zur Sowjetunion war jedoch schon von der Regierung Inönü vorbereitet worden, wofür diese nicht wenig kritisiert wurde. Als Inönü im Februar dieses Jahres in der Budgetdebatte eine Abstimmungsniederlage erlitt und zurücktreten mußte, schienen sofortige Neuwahlen unvermeidlich. Um jedoch den Regimewechsel nicht zu abrupt zu vollziehen, einigte man sich auf den 10. Oktober als Wahltermin. Bis dahin sollte eine Koalitionsregierung der früher oppositionellen „Gerechtigkeitspartei“ mit den drei kleinen Parteien unter der Führung eines Unabhängigen die Geschicke des Landes lenken.

Sechs Parteien bemühen sich nun um die Gunst des türkischen Wählers: die Gerechtigkeitspartei (AP), die Republikanische Volkspartei (CHP), die Nationale Bauernpartei (CKMP), die Partei der Neuen Türkei (YTP), die Partei der Nation (MP) und die Türkische Arbeiterpartei (TIP). Der bei den Kommunalwahlen im November 1963 sich deutlich abzeichnende Trend zum Zweiparteiensystem — gewissermaßen eine Polarisierung der politischen Kräfte zwischen „Republikanischer Volkspartei“ und „Gerechtigkeitspartei“ — wird diesmal durch das stärkere Hervortreten zweier bisher bedeutungsloser politischer Fraktionen gebremst: Zum erstenmal in der jungen Geschichte der türkischen Parteien kann man die Bildung einer „Rechten“ und einer „Linken“ erkennen. Diese beiden Extreme sind die rechtsgerichtete Nationale Bauernpartei und die linke, marxistische Türkische Arbeiterpartei. Die politischen Parteien in der Türkei haben allerdings etwas seltsam Unbestimmtes, und es ist fast unmöglich, sie mit westlichen Maßstäben zu messen. Sie sind weniger ausgeprägte weltanschaulich differenzierte Bewegungen, als vielmehr größere oder kleinere Klientelgruppen, die sich um bestimmte politische „leader“ geschart haben.

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