Erwacht -nach CO2-Narkose

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Manch Theologenhirn mag sich in den letzten Jahrzehnten mit der Frage gequält haben, ob denn das Grab Jesu, in das der am Kreuz Verstorbene gelegt worden war, nach der Auferstehung auch buchstäblich leer zurückblieb. Folgt man Johannes Fried in seinem neuen Buch, dann darf diesbezüglich Entwarnung gegeben werden: Natürlich war das Grab leer. Punkt.

Traditionalisten, die sowieso überzeugt sind, dass die Bibel wörtlich zu verstehen ist, sollten sich dennoch nicht zu früh über die vermeintliche Autorisierung des Leere-Grab-Befundes durch den ausgewiesenen Mittelalterhistoriker freuen. Denn Fried bestätigt zwar das leere Grab, bestreitet aber gleichzeitig, dass Jesus am Kreuz überhaupt gestorben sei: "Kein Tod auf Golgatha" heißt der ein wenig reißerische Titel des im renommierten C. H. Beck-Verlag erschienenen Büchleins. Und wer über selbigen noch nicht genug staunt, kann das dann beim bekräftigenden Untertitel tun: "Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus".

Zwar gesteht Fried am Ende des Bandes freimütig: "Gewiss, das Vorstehende ist reine Spekulation, deren einzige Anhaltspunkte neben dem medizinischen Befund jene Hinweise auf eine Jesus-Gestalt liefern, die dem Christus-Glauben und der hellenistischen Tradition fernstand und einen bloßen Menschen in dem Messias Jesus, einen gottbegnadeten, segensreichen, dem Kynismus nahestehenden Propheten erkannte, einen Gottesknecht."

Nun für seine reine Spekulation hat sich der Geschichtsprofessor (er lehrte bis zu seiner Emeritierung Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt) einige argumentative Mühe auf sich genommen. Und auch Vorannahmen gemacht, vor allem die, dass die Passionsgeschichte Jesu, wie sie das Johannesevangelium überliefert, die authentischste sei und die anderen Passionsberichte nur mehr auf Hörensagen beruhen. Zusätzlich liest Fried seinen Johannes dann auch noch mit medizinischer Expertise (die er woher hat?). Kurz und vom medizinischen, historischen und theologischen Laien-Rezensenten zusammengefasst, litt Jesus nach Fried aufgrund von Folter etc. an einem Pleuraerguss im Brustbereich, der im Verein mit der im Johannesevangelium erwähnten Essiggabe zu einer CO 2-Narkose führte, was von den ums Kreuz Stehenden als Tod (miss)verstanden wurde. Der wurde aber durch den Lanzenstich des römischen Hauptmanns verhindert, weil dieser den Druck der tatsächlich lebensbedrohlichen Flüssigkeitsansammlung in Jesu Brustraum löste. Der Komatöse wurde dann ins Grab gelegt, wo er dann erwachte, aufstand und wegging.

Jesus hat die Kreuzigung lang überlebt?

Da durch diese Vorgänge aber ein (überlebender Jesus nachzuweisen sein müsste, widmet sich Fried in weiterer Folge dieser Spurensuche und wird auch -natürlich trotz der "reinen Spekulation" - fündig. Und er liefert auch Begründungen, warum die historischen Quellen jener Zeit so wenig über den aufgewachten Jesus wissen. Fried spekuliert über Verstecke Jesu in der Dekapolis oder in der Wüste Ägyptens, dann gar über einen späteren Aufenthalt in Jerusalem. Er ordnet die nachösterlichen Berichte oder auch die eine oder andere vorösterliche Episode in den Evangelien diesen Spuren zu.

Das Nachgehen endet im ostsyrischen Raum, wobei Fried sogar die Berichte über Jesus im Koran und die Aufschriften auf dem -muslimischen -Felsendom in Jerusalem als, sagen wir, Indizien dafür wertet, dass hier Jesus noch lang nach den dem Jahr 30 tätig war.

Dass sich 2000 Jahre nach den Ereignissen in Jerusalem ein "moderner" Forscher nach dem, "wie es wirklich war", sucht, kommt vor. Überraschend vielleicht, dass dieser Historiker sich aus einer auch für den Laien erkennbaren eklektischen Wahrnehmung einen Ablauf der Ereignisse konstruiert (und mit einer Fülle durchaus interessanter Hinweise, die aber keineswegs als Indizien für Jesu biologisches Weiterleben herhalten müssten).

Die theologische Fachwelt nimmt dieses Opus sowieso nicht ernst, was Fried mit dem altbekannten Kniff abtut, diese sei halt in der eigenen Wahrnehmungswelt gefangen. Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding etwa qualifizierte das Fried'sche Werk gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur KNA als "Nonsens" und als "luftige Konstruktion, die keiner wissenschaftlichen Prüfung standhält". Alle biblischen Quellen, aber auch andere antike Berichte gingen vom Tod des jüdischen Rabbis aus.

Abgesehen davon, dass sich Spekulationen über den historischen Jesus immer verkaufsfördernder Beliebtheit erfreuen, poppen Theorien über den Nicht-Tod oder die Nicht-Auferstehung Jesu immer wieder auf. Auffällig diesmal, dass sich ein bekannter Mittelalterforscher wie Johannes Fried mit solcher Verve an diesem Gegenstand abarbeitet. Man befürchtet, dass darunter auch seine wissenschaftliche Reputation leidet. Denn Fried ist beispielsweise für eine großartig geschriebene und gut erzählte Biografie Karls des Großen (vgl. FURCHE 34/2014) bekannt. Ob aber dem Historiker da auch etwas viel Fantasie durchgegangen ist? Man konzediert diesem Autor allerdings auch bei "Kein Tod auf Golgatha", dass er seine "reine Spekulation" wirklich sprachmächtig und eben für fachfremde Leser konzis darlegt.

Das enthebt aber nicht der -banalen -Erkenntnis: Spekulation bleibt Spekulation. Und ist keineswegs (historische) Realität.

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