"Heilsame Provokation"

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Thomas Söding, renommierter Kommentator des päpstlichen Jesusbuches, über den "großen Wurf" Benedikts XVI. und eine "zweite Naivität" im Glauben.

Die Furche: Herr Professor Söding, Sie sind Bibelforscher und gelten nicht zuletzt auf Grund Ihrer Kommentarbände zum Jesusbuch Benedikts XVI. auch als "Papstkenner". Welche Bilanz ziehen Sie rund ein Jahr nach Erscheinen des Jesusbuches?

Thomas Söding: Zunächst muss man neidlos anerkennen, dass der Papst mit seinem Buch einen Wurf gelandet hat. Er hat als Dogmatiker ein in sich schlüssiges Buch über die zentrale Figur des Glaubens vorgelegt. Gerade diese Tatsache, dass er als Dogmatiker Aussagen zu einem klassischen exegetischen Thema macht, provoziert aber natürlich auch Widerspruch bei vielen Bibelforschern.

Die Furche: Was wird dem Papst konkret vorgeworfen?

Söding: Man muss sehen, dass die Exegese nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern weltweit in zwei große Lager unterteilt ist. Auf der einen Seite gibt es die historisch-kritisch arbeitenden Exegeten, die stark zwischen dem Jesusbild der Evangelien und dem historischen Jesus unterscheiden. Auf der anderen Seite gibt es Vertreter der kanonischen Exegese, die versuchen, Jesus theologisch aus dem gesamten Kontext der Heiligen Schrift heraus zu verstehen und im Spiegel der Evangelien zu erkennen. Wenn Benedikt für eine kanonische Exegese plädiert, dann nicht für einen Rückfall hinter die Erkenntnisse der historischen Kritik. Der Papst hat die Diskussion neu eröffnet, wie viel historische Kritik wir im Glauben benötigen und wie viel Kritik der Kritik wiederum nötig ist.

Die Furche: Die historisch-kritische Zunft fürchtet also die Beförderung einer von ihr als unwissenschaftlich betrachteten Lesart?

Söding: Manche sagen das so. Es ist aber zu betonen, dass die kanonische Exegese genauso vielschichtig ist wie die historisch-kritische Forschung. Heute finden Sie kaum mehr einen Exegeten, der den Anspruch erhebt, den einzig wahren historischen Jesus aus den Schriften heraus zu präparieren. Umgekehrt wird kein kanonischer Exeget die historische Jesusforschung abtun. Dennoch könnte man vielleicht verallgemeinern, dass historisch-kritische Exegese stets in der Gefahr der Fragmentierung steht, kanonische Exegese hingegen in der Gefahr der Harmonisierung.

Die Furche: Um konkreter zu werden: Welches Jesusbild hat der Papst?

Söding: Der Papst will Jesus radikal vom Monotheismus, vom Glauben an den einen Gott her verstehen. Er nimmt Jesus ernst als "Sohn", der in Einheit mit dem Vater lebt. Die starke These des Papstes ist nun: Wenn ich Jesus so theologisch sehe, dann wird er als historische Gestalt nicht undeutlicher, sondern gerade deutlicher. So anfechtbar dieser Ansatz im Einzelnen sein mag, so heilsam ist diese Provokation für die Exegese, denn die muss sich jetzt die Gretchenfrage stellen, wie ernst sie selbst den Glauben Jesu nimmt. Jesus kann ich als historische Gestalt nur dann richtig verstehen, wenn ich die Theologie Jesu ernst nehme. Da stimme ich dem Papst zu.

Die Furche: Jesus wird vom Papst stets als "logos" verstanden, das heißt, er zeichnet sein Jesusbild mit philosophisch vorgeprägten Begriffen des Johannesevangelium …

Söding: Der Papst nimmt in seinem Jesusbuch natürlich keine neutrale Beobachterperspektive ein - wie sollte er auch! Er nennt von Beginn an sein Vorverständnis, das besagt: Seht, dies ist der Sohn Gottes und ich versuche nun, argumentativ dieses Bekenntnis zu entfalten, indem ich wichtige Jesuserzählungen interpretiere. Christliche Theologie kommt hier in der Schriftauslegung als Nacherzählung der Geschichte Jesu zu sich selbst. Besonders deutlich wird das im Mittelteil des Buches, im Gespräch mit dem Juden Jakob Neusner, wo nicht um christologische Konzepte gestritten wird, sondern wo es um jedes einzelne Wort Jesu geht, dem Kraft beigemessen wird. Darauf will Benedikt hinaus: Wenn ich die Worte Jesu ernst nehme, bleiben mir zwei Möglichkeiten: Ich muss sagen, ja, er ist der Sohn Gottes, oder aber ihn rigoros ablehnen.

Die Furche: Das hört sich nach einer uneingeschränkten Zustimmung Ihrerseits an …

Söding: Uneingeschränkt? Dann hätte ich meinen Beruf verfehlt! Nein: Im Ansatz bei der Gottesfrage halte ich das Buch für wegweisend. In der Durchführung kann man vieles diskutieren. Die historisch-kritische Exegese kommt mir insgesamt zu schlecht weg. Auch favorisiert der Papst in seiner Beschreibung der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu sehr stark die Heilsgegenwart. Er sagt: Die Gottesherrschaft ist da, denn Jesus ist da. Wer wollte das leugnen? Aber ich vermisse die apokalyptische Dimension, die bleibende Ausständigkeit der Gottesherrschaft, die Spannung zwischen schon und noch nicht, den Schrei der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz. Der Jesus, den Benedikt zeichnet, ist immer auf der Höhe seiner selbst: die Versuchungen sind bestanden und er agiert in Einheit mit dem Vater. Dass diese Einheit jedoch eine erprobte und erlittene Einheit ist, das kommt im ersten Band noch nicht zum Vorschein. Das könnte man auf einen "johanneischen Einschlag" bei Benedikt zurückführen. Ich weiß nicht, ob er diese Anfragen mit dem zweiten Band einholen wird. Zu wünschen wäre es.

Die Furche: Gibt es weitere "weiße Flecken"?

Söding: Ja, mich wundert zum Beispiel, dass Benedikt so wenig von den Wundern spricht, die in den Evangelien einen breiten Raum einnehmen. Auch den Streitgesprächen hat er wenig Platz eingeräumt. Der provozierende Jesus, der Jesus, der sich in Konflikten bewähren muss und stets in einem sozialen Umfeld agiert, das kommt bislang etwas kurz - bis auf den Dialog mit Jakob Neusner, den ich für eine der stärksten Partien des Buches halte, weil Benedikt die jüdische Position so ernst nimmt und damit zugesteht, dass es selbst im Kern Jesu Verkündigung, der Bergpredigt, etwas zu diskutieren gibt.

Die Furche: An wen richtet sich das Buch eigentlich?

Söding: Ich glaube, er hat das Buch für die interessierte Öffentlichkeit geschrieben, auch für Christen, denen vielleicht die Figur Jesu zu entgleiten droht. Daher hat das Buch ja auch deutlich meditative Züge. Aber es richtet sich natürlich auch an ein säkulares Publikum. Und der Erfolg gibt ihm Recht. Ich erlebe dieses enorme Interesse an der Figur Jesus selbst in vielen Veranstaltungen. Skepsis gibt es eher aus den Reihen kirchlicher Innenpolitiker, die vielleicht etwas befangen sind, vielleicht aber auch sehen, dass es nicht ganz unproblematisch ist, wenn so forsch von der Spitze weg Theologie getrieben wird.

Die Furche: Das heißt, das Papstbuch stimmt in den Chor jener ein, die eine Rückkehr der Religion zu sehen glauben?

Söding: Das Buch hat zumindest wie ein Katalysator gewirkt. Und wirkt weiter. Da ist es wichtig, dass es nicht allzu wissenschaftlich daherkommt. Qualität bemisst sich nicht am Unterhaltungswert, aber man ist als Theologe doch aufgerufen, verschiedene Sprachen sprechen zu können und den Glauben zwar kritisch zu bedenken, aber nach allen Spezialitäten doch auch wieder einfach zu machen: nicht simpel, sondern klar. Und das macht Benedikt vor: Es geht um eine "zweite Naivität" im Glauben, das heißt nicht um einen Rückfall vor die historische Kritik, sondern um das Grundbekenntnis zu Jesus, das durch die Kritik hindurchgegangen und, wenn es gut geht, im Feuer geläutert ist.

Das Gespräch führte

Henning Klingen. (siehe Tipp)

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