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Pergamon und Noosphäre

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Gegenüber den kaskadenförmig hingelagerten Terrassen der Akro-polis von Pergamon, eingebettet in die sanften Hügel zwischen dem Vulkankegel, der die griechische Stadt trägt, und dem nicht fernen Küstengestade liegt das Asklepieion, heiliger Bezirk des Asklepios und um Christi Geburt eine der gesuchtesten Heilstätten.

Im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt lebten hier an die hundertzwanzigtausend Einwohner. Galenus schrieb hier sein wissenschaftliches Werk von etwa fünfhundert Arbeiten. Könige wurden empfangen und genossen hier Linderung ihrer Leiden. Kaiser gaben Audienzen. Säulenhallen, Bibliotheken, unterirdische Gänge, Kurhotels, heilige Brunnen, Bäder, Theater, Tempelanlagen, Massage- und Schlafzellen, das Heiligtum des Gottes Asklepios: so vollzogen sich die Heilungen. Gedeckte Wandelhallen führten von der Stadt zum sakralen Bezirk. Mächtig bot sich eine der berühmtesten Heilstätten der damaligen Welt dar.

Heute brütet die Sonne über den Ruinen, und einige türkische Arbeiter versuchen unter Anleitung deutscher Archäologen mit Schaufel und Rollwagen dem Unbekannten auf die Spur zu kommen.

Der Gott ist entwichen. Unter dem spärlich bewölkten Himmel offenbart sich ein raffiniert angelegtes Bad, eine Behandlungsstätte großen Stils, Wirkstätte eines der berühmtesten antiken Ärzte. Nach einem genauen Therapieplan wurden die Kranken persönlich angesprochen und persönlich behandelt. Eingetauscht in den Metabolismus von Feuer und Seele — Wärmezentrum und Seelenzentrum waren identisch — suchten sie Linderung in den warmen Quellen und Katharsis bei den klassischen Tragödien, fanden nach Traum- und Schlafbehandlung Ruhe und Erquickung in einer der vollständigsten Literatursammlungen der damaligen Welt. Das war der antike Mensch.

Die Seele war kein Problem. Die Temperamente cholerisch, sanguinisch, melancholisch und phlegmatisch waren von Galen selbst den Körpersäften Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle zugeordnet worden und richteten sich nach ihnen. Sie waren gleichsam gebaut nach den Gesetzen der Schwerkraft, der Diffusion, des osmotischen Druckes. Gebaut nicht nach mechanischen Grundsätzen, aber nach irdischen. Der Mensch war ein Elementgemisch, und die Seele war sterblich wie die Götter, die den Gesetzen der Natur unterlagen. Man starb — kat' ananken — zwangsweise, weil die Natur es so erforderte. Die Unheilbaren blieben daher trostlos, man überließ sie ihrem Unheil.

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