6778011-1969_30_04.jpg
Digital In Arbeit

Gigantissimus Merckx

Werbung
Werbung
Werbung

Die Giganten der Landstraße, wie die professionellen Pedaltreter häufig genannt werden, müssen sich um eine neue Bezeichnung umsehen. Spätestens seit jener großen Pyrenäenetappe der am Sonntag in Paris beendeten Frankreichrundfahrt steht eindeutig fest, daß Superlative nur einem Manne gebühren: Eddy Merckx, der Inkarnation des totalen Siegers, dem perfektesten Allroundler, den es je gab, der seine Konkurrenten zu Statisten degradierte, in einer Weise demütigte, daß von ihren ehemals klingenden Namen nur noch ein hohler Ton zurückbleibt. Von diesem Trauma, im Zeitalter der -ismen natürlich Merckxismus getauft, betroffen sind vornehmlich der großsprecherische Roger P i n-geon, der ewige Pechvogel Raymond Poulidor sowie der ausgebrannt urirkende Italienrundfahrtgewinner von der Funktionäre Gnaden, Feiice Gimondi, während die ehemaligen Toursieger Jan Janssen und Luden AI mar bei dieser „großen Schleife“ fast nur leere Kilometer, sportlich und finanziell gesehen, herunterkurbelten. Was den 24jährigen Belgier, der bereits vor fünf Jahren als Amateurweltmeister auf sich aufmerksam machte, von seinen Vorgängern als „Größten“ unterscheidet, sind zwei Kennzeichen: erstens die Unersättlichkeit im Siegen, das unbedingte Fahren auf Angriff entgegen jedem bisher üblichen taktischen Konzept, was den fassungslosen Gimondi zu den Worten: „Nur ein Verrückter kann so fahren“ verleitete und damit ausdrückt, daß Merckx nicht mit normalen Maßstäben gemessen werden kann, wozu auch die ständig lancierten Gerüchte von der „Wunderdroge“ gut ins Bild passen. Man neigt eben auch in einer scheinbar auf' und abgeklärten Welt noch immer gerne dazu, mit Zauberei alles das durchschnittliche menschliche Fassungsvermögen Übersteigende zu deklarieren. Zweitens gab es noch nie einen Pedalritter, der in den drei wichtigsten Disziplinen des Straßenradsports, Rollen, Klettern und Sprinten, seine Geg-

ner gleichzeitig derart dominierte wie der neue Abgott der Belgier. Die einfachste Formel wäre: Merckx =. Anquetil + Coppi + Bartoli + Bob et + Gaul + Bahamontes + Rivier e.

Denn in der während der 4110 Kilometer durch Frankreich ausgespielten Form hätte Drahteselmillionär Eddy auch im direkten Kampf gegen den „König der Zeitfahrer“, Roger Rivier e, gegen den hitzegewohnten „Adler von Toledo“, Federico Bahamontes, ebenso wie gegen bei Regen und Kälte auf den Bergen stets zu unwahrscheinlichen Leistungen fähigen Charly Gaul erfolgreich bestanden; jeder dieser Spezialisten wären in „seiner“ Disziplin dem Phänomen aus Flandern unterlegen, so daß man heute nur von einem „Spezialisten“ sprechen kann: fast doppelt so viele Bergpunkte wie der zweite, ebenso deutliche Distanzierung der Verfolger im Punkteklassement, sechs Etappensiege, überlegener Triumph seiner Mannschaft, selbstverständlich die Auszeichnung als kämpf freudigster Fahrer — soviel gelang einem Jacques Anquetil während seiner fünf Tourerfolge nicht.' Fast notwendig und hochverdient, daß fast ein Viertel der ausgesetzten Geldpreise in der Höhe von rund drei Millionen Schilling auf das Konto des jungenhaften Wunderathleten zu verbuchen sind ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung