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Entwicklung und Wandlung

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KRITIK DER BILDENDEN KUNST DES XX. JAHRHUNDERTS. Von Heimo Kuch1ing. Schriftenreihe „Kontur”, Verlag Guberner & Hierhammer, Wien, 1962. 183 Seiten, 19 Abbildungen im Text.

Unsicher und hilflos, ohne richtunggebende Maßstäbe des Bewertens, stehen vor den Skulpturen und den Malereien, die für das 20. Jahrhundert im Unterschied zu früheren Epochen wesentlich sind, noch Hunderttausende. Das äußerlich schlichte, ohne prätentiöse Ansprüche auftretende Buch Kuchlings leistet demgegenüber einen guten Dienst: es legt Richtlinien fest, die der Unsicherheit des Kunstbetrachters zu Hilfe kommen. Es lehrt ihn zu 6ehen. bildende Kunst sinnvoll zu beurteilen und zu bewerten. Ein solches Vorhaben konnte nur gelingen, wenn zuvor die Subjektivität überwunden wurde. Dem stellt Kuchling den objektiven Ausgangspunkt gegenüber: er deckt sich mit einem Weltbild. Ist dieses dem Menschen unmittelbar gewiß, wurde es für ihn zu einem Bestandteil seines Ich, so gibt es keine wie immer geartete Kunstschöpfung, die nicht aus dem Weltbild heraus, sei es positiv oder negativ, ihren Wertakzent erhielte.

Die Situation der bildenden Kunst aller Länder der Erde wird einbezogen. Von höchster Bedeutung ist es, daß ein solches, alle bildende Kunst der Länder, der Völker, auch der fernliegenden Zeiten, einschließendes Weltbild demjenigen Aspekt nahekommt, unter welchem der gläubige, religiöse Mensch die Schöpfung schaut. Wie er, verwahrt sich hier auch der „Kritiker der bildenden Kunst” gegen Materialismus und Technisierung. Unannehmbar ist für den gerechten Betrachter neuer Kunst der rationalistische Totalitätsanspruch der Wissenschaft, unannehmbar auch die Unterwerfung der Kunst unter außerkünstlerische, materialbedingte, statt des Geistes den Stoff mit seinen Reizen hervorkehrende Prinzipien.

Variabel bis zur Unendlichkeit ist die geistige Freiheit des Künstlers. Dies schließt jede Einengung auf irgendeinen „Ismus” ebenso aus wie das Modernseinwollen um jeden Preis. Jedes sklavische Sichanpassen des Bildenden an eine Augenblicksmode ist daher irreparabel: es weicht vom Grundgesetz aller wahren Bildgestaltung ab. Diese Scheidung der Geister weiß Kuchling sichtbar zu machen,, weil für ihn der Glaube an eine Sinnhaftigkeit des Kosmos, einschließlich der den Kosmos ja mitbildenden Kunst und ihrer Schöpfungen, eine Grundwahrheit bleibt. Zugleich wird die, der Kunstbetrachtung oft verhängnisvöll gewordene, Idee der „Entwicklung” — als folgten einander stets „fortschreitende” Kunststile — in ihrer Oberflächlichkeit durchschaut. Kuchling ersetzt die Idee der „Entwicklung” im Kunstbereich durch die Idee der „Wandlung”. Wandlung ist vereinbar mit radikalen Umbrüchen, mit Rückschritten, mit Verlust von bereits Erworbenem. Der Vertreter der „Entwicklungs”-ldee habe nicht die Möglichkeit, Niedergänge, wie sie in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts auf die Großtaten der „Gründergeneration” folgten, als Niedergänge zu durchschauen. Dagegen weiß der Vertreter der „Wand- lungs”-Idee, daß einmal gewonnene, neue schöpferische Zugänge zur wirklichen Bildform wieder verschüttet werden können.

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