Schwarzer Kern und "GaSthof Kurz"

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Bürgermeister Nowak ist kurz angebunden. "Kommen Sie gegen drei noch mal vorbei", sagt er hastig und deutet Richtung Holztür mit dem gelben Glaseinsatz. "Da sehe ich vielleicht schon ein Ende des Tunnels." Dann geht er zügig in die Stube mit den rustikalen Stühlen und den Gardinen vor den Fenstern und schließt die Tür. Drinnen sitzen eine Handvoll Männer um einen Tisch. Manche tragen gestreifte Hemden, manche ein Sakko. Sie werden noch eine Weile dort sitzen bleiben. Denn heute führt der Bürgermeister mit ihnen Bauverhandlungen. Und das kann dauern.

Reinhard Nowak ist schwarzer Stadtchef der Gemeinde Weitersfeld im nördlichen Waldviertel. Und Weitersfeld ist eine der kleinen ÖVP-Hochburgen in der großen ÖVP-Hochburg Niederösterreich. 62,7 Prozent erreichten die Schwarzen bei der vergangenen Nationalratswahl in der Gemeinde. Und auch wenn das "Pröll-Land" inzwischen zum "Mikl-Leitner-Land" mutiert ist und sich auch im Ort selbst seither manches geändert hat: An einem ähnlich guten VP-Ergebnis wie vor vier Jahren hat in Weitersfeld kaum jemand Zweifel.

In Weitersfeld pflegte man zum einstigen 'Landesvater' ein besonderes Verhältnis, denn er wurde hier oft gesehen. Jedenfalls glaubten das manchmal Gäste von auswärts.

Verhandlungen im "Weißen Rössl"

Fährt man von Wien aus in die 1600-Einwohner-Gemeinde, bahnt sich der Pendlerzug seinen Weg zunächst durch das niederösterreichische Weinviertel, vorbei an Jäger-Hochsitzen, Kürbisfeldern und Marienkapellen an Schotterwegen. Pensionisten mit Helm und Funktionsjacke nützen das goldene Herbstwetter für Radtouren entlang der Bahnstrecke. Ab Retz geht es per Postbus weiter -der Weitersfelder Bahnhof wird seit Jahren nur noch vom "Reblaus-Express", einem allein an Sommerwochenenden verkehrenden Nostalgiezug, angefahren. "Wenn Sie nach Weitersfeld wollen, müssen Sie die ganze Tour über die Nachbargemeinden mitfahren", sagt eine ältere Frau mit Steppjacke und Einkaufstasche auf Rollen. "Aber da sehen Sie zumindest was von der schönen Landschaft."

Im neuen Regionalbus riechen die Sitze noch nach Fabrik. Nach einer knappe Stunde, Kreisverkehre, Serpentinen, Ausblick auf die Burg Hardegg, ist er am Ziel. Es ist ein sonniger Herbsttag in Weitersfeld. Kinder spielen bei der Ortseinfahrt, Bauarbeiter beeilen sich mit der Fassadendämmung, um rechtzeitig vor dem Winter fertig zu werden. Auf dem Hauptplatz gibt es einen Greißler, eine Trafik und eine Bushaltestelle. Rathaus und Raiffeisenbank teilen sich einen Dachgiebel, über dem Bankomaten hängt ein Holzkreuz.

Und dann gibt es da noch das Wirtshaus, das so heißt wie der berühmte Filmkulissen-Wirt im oberösterreichischen St. Wolfgang: Zum weißen Rössl. Und dessen Pächter, der so heißt wie der Mann, der vor drei Monaten die ÖVP übernommen, ihren Listennamen auf seinen eigenen geändert und ihrer "Corporate Identity" ein modisches Türkis verpasst hat: Kurz. Die Namensgleichheit ist allerdings Zufall, auch wenn der großelterliche Bauernhof von Sebastian Kurz keine 20 Kilometer entfernt liegt vom Gasthaus von Robert Kurz.

Im Weitersfelder "Weißen Rössl", braune Fliesen, braune Stühle, Maggi-Flaschen auf den Tischen, gibt es ein Mittagsmenü. "Tagessuppe mit Schnitzel und Salat" steht in weißer Kreide auf der Tafel vor dem Eingang. Und daneben: "ACG". Die enthaltenen Allergene. "Normalerweise stehen die nicht dabei", sagt der Wirt mit dem inzwischen prominenten Nachnamen. "Aber heute ist das Arbeitsinspektorat da, deshalb hab ich sie draufgeschrieben." Denn die Bauverhandlungen, die Bürgermeister Nowak gerade führt, finden im Zimmer neben der Gaststube statt. Und verhandelt wird über einen Zubau des "Weißen Rössl", das die Familie Kurz seit fünf Jahren gepachtet hat.

Der Landesvater und "die Hanni"

Das "Weiße Rössl" ist eine Art Verkehrsknotenpunkt in Weitersfeld. Hier trifft man sich zum Bier nach der Arbeit. Hier führt man politische Verhandlungen. Hier trinkt man noch ein schnelles Achterl, bevor der Bus vor der Tür Richtung Retz abfährt. Im Veranstaltungsraum neben der Gaststube versammeln sich gerade gut zwei Dutzend Damen bei Kaffee und Kuchen zum wöchentlichen Nachmittagstreffen. Zwei Stunden später werden sie zur Melodie von "Oh Susanna" tanzen, die ein Mann für sie auf der Ziehharmonika spielt. Das "Weiße Rössl" steht im Eigentum der Gemeinde. Einer Gemeinde fest in schwarzer Hand. 17 von 19 Gemeinderatssitzen hat die ÖVP hier, nur zwei die SPÖ.

Die politische Struktur von Weitersfeld ist nicht eben untypisch für das Bundesland, in dem die Marktgemeinde liegt. Denn Niederösterreich ist schwarzes Kernland. Noch nie in der Zweiten Republik gab es hier einen anderen als einen schwarzen Landeshauptmann. Seit Frühjahr ist er eine Frau. Damals trat "die Hanni", wie ihre Parteifreunde Johanna Mikl-Leitner -auch auf Wahlplakaten -gerne nennen, die Nachfolge von Langzeit-Patriarch Erwin Pröll an. Zweieinhalb Jahrzehnte hatte der gebürtige Radlbrunner die Geschicke von Österreichs flächenmäßig größtem Bundesland geleitet. Er tat dies mit lohnendem Zug zum Tor -für "sein" Niederösterreich holte er regelmäßig noch etwas Gewinnbringendes heraus. Und mit eiserner Hand -sein berüchtigteinschüchternder Stil im Umgang mit (politischen) Gegnern und sein Naheverhältnis zu den Landesmedien machten häufig Schlagzeilen. Und noch häufiger die Runde in Politik-und Journalistenzirkeln.

In Weitersfeld pflegte man zum einstigen "Landesvater" ein besonderes Verhältnis, denn er wurde hier oft gesehen. Jedenfalls glaubten das mitunter Gäste, die von auswärts kamen. "Mein Vorgänger war fast ein Double des Landeshauptmanns", sagt Nowak, der 2015 als Weitersfelder Bürgermeister übernommen hat. "Wenn der mit dem Erwin beieinander war, hat das schon oft lustig ausgeschaut." Die Bauverhandlungen hat Nowak, Schnauzbart, kräftige Statur, inzwischen abgeschlossen und steht nun vor der Schank der Wirtshausstube mit den Pokalen über dem Türstock. Die Zusammenarbeit mit der neuen Landeshauptfrau funktioniere gut, auch wenn die Fußstapfen "vom Erwin" natürlich schon groß seien.

Auf dem kleinen Hauptplatz gibt es einen Greißler, eine Trafik und eine Bushaltestelle. Rathaus und Raiffeisenbank teilen sich einen Dachgiebel, über dem Bankomaten hängt ein Holzkreuz.

"Laufen, Laufen, Laufen!"

Und was sind die Themen, die die Gemeinde bewegen? Wie die meisten ländlichen Gebiete plagt auch Weitersfeld die Abwanderung. Während der vergangenen sechs Jahrzehnte schrumpfte die Einwohnerzahl von 2600 auf 1600. Viele Junge gehen zum Arbeiten oder Studieren in die große Stadt - und kommen häufig nicht mehr zurück. "Aber zumindest bekommen die Leute hier noch viele Kinder", sagt Nowak. Das größere Problem der Gemeinde sei die fehlende Industrie. Viele pendeln zur Arbeit nach Wien oder St. Pölten, einige in die Städte im Umkreis wie Retz oder Hollabrunn. Der größte Arbeitgeber in der Gegend ist die Firma APV, die technisches Gerät für die Landwirtschaft und Streugeräte für Winterdienste herstellt und auch Standorte in Deutschland, Russland oder den USA unterhält.

Die finanzielle Situation der Gemeinden in ländlichen Regionen ist dagegen wenig rosig, sagt der Bürgermeister -trotz Finanzausgleichs, der ein wenig Landesgeld in die Kommunen schwemmt. Im Ort arbeitet man an einem neuen Bauprojekt -betreutes Wohnen für ältere Menschen -und am Ausbau des Glasfasernetzes, womit man Telearbeitsplätze fördern und dadurch manchem Büro-Angestellten das Pendeln nach Wien ersparen will. Wie andere Landgemeinden auch pflegt Weitersfeld ein reges Vereinsleben. Es gibt Sportvereine und Kameradschaftsbünde, eine Sängergruppe, den Kirchenchor und die Jugendkapelle. Und natürlich die Freiwillige Feuerwehr.

Und wie sieht der schwarze Bürgermeister die Bundespolitik? "Mein Wunsch wäre, dass sich etwas ändert", sagt der 52-Jährige, im Hauptberuf Vermesser beim Land Niederösterreich. Unter Rot und Schwarz habe Stillstand geherrscht. Den Umfragen, die seine Partei deutlich in Führung sehen, traut er noch nicht ganz. Wie viele seiner Parteifreunde spürt er beizeiten noch den Stachel des Jahres 2006, als die Umfragen Wolfgang Schüssel klar den ersten Platz prognostizierten. Lachender Sieger war am Wahlabend aber Alfred Gusenbauers SPÖ. Um sein Schärflein dazu beizutragen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, setzt der Bürgermeister auf Hausbesuche. "Für mich und meine Funktionäre", sagt er, "gibt's bis zum 15. Oktober nur eine Devise: Laufen, Laufen, Laufen!"

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