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„Das Tagebuch der Anne Frank”

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Vor ein paar Jahren haben die Aufzeichnungen eines deutschen Judenmädchens, das sich länger als zwei Jahre in einem Amsterdamer Hinterhause vor der Gestapo zu verstecken versuchte, eine ganze Welt erschüttert. Vom Frühjahr 1942 bis zum Sommer 1944 saßen acht Menschen in einer Dachkammer, fürchtend und hoffend. Sie alle, der Vater Otto Frank, der Nurgeschäftsmann van Daan, der Junggeselle Düssei, die Frauen und die Jungen wurden verewigt in dem Tagebuch, das die Dreizehnjährige begann und die Fünfzehnjährige nicht vollenden konnte. Der Kampf war vergebens. Von allen acht Menschen ist nur Herr Frank aus Auschwitz zurückgekehrt.

Ein Buch ohne eigentliche Handlung zu dramatisieren, war ein Wagnis. Vor allem fehlt jede Raumveränderung. Die zehn Bilder, die uns Frances Goodrich und Albert H a c k e 11 vor Augen stellen, sind alles andere ehei denn Theater in landläufigem Sinne. Und doch führen sie in der Menschheit ganzen Jammer und auf den Grund der Seelen. Sieht man vom ersten und vom letzten Bilde ab, geschieht in der scheinbaren Ereignislosigkeit immer etwas, das den Zuschauer in Spannung hält. Man verläßt das Theater mit dem Gefühl, einen der ersten Abschnitte einer Menschheitstragödie miterlebt zu haben, welche noch lange nicht zum Abschluß gekommen ist.

Die Münchner Kammerspiele erschüttern mit dem „Tagebuch der Anne Frank” das Publikum vieler deutscher Städte. Seine österreichische Erstaufführung erlebte das eigenartige Stück in Bregenz, wohin die Münchner vom städtischen Kulturreferat (Dr. Oscar Sandner) geladen waren. Begreiflicherweise kommt hier alles auf das Spiel an, und dieses ist Spitzenkräften anvertraut. Vor allem verfügt Christa Keller in der Titelrolle über ein reiches Register der Wandlungen vom Kinde zum Mädchen, das schließlich zum Seelenspiegel aller Aelteren wird. Neben ihr steht in der männlichen Jugendrolle Horst Rüschmeier. E. F. Fürbringer als Otto Frank und Hans Magei als van Daan, der immer noch nicht begreift, daß ihm etwas abgehen solle, sind packende Gegensätze, ebenso Marianne Hoppe als zarte Frau Frank und Maria Nicklisch als protzige Frau van Daan. Während Peter Lühr im menschenscheuen Junggesellen eine dankbare Rolle findet, kommt Isolde Brauner als Annes Schwester etwas zu kurz. Ruth Drexel und Anton Reimer wirken als hilfreiche Holländer sympathisch.

Auf jeden Fall hat Bregenz wieder einmal eine bemerkenswerte Neuigkeit im österreichischen Theaterleben gesetzt.

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