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Schock und Schwank

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Was sich am Anfang der laufenden Spielzeit bis Ende September, innerhalb von nicht ganz fünf Wochen, im Bereich des Wiener Theaters ereignete, gab es wohl schon lange nicht: Vier Uraufführungen und vier deutschsprachige Erstaufführungen, von einer Premiere abgesehen, alle an Großbühnen. Stärkste Beachtung fand die Uraufführung der neun Bilder „Change” des 28jährigen Grazers Wolfgang Bauer im Rahmen der „Konfrontationen” des Volkstheaters. Dieses Stück wird, nach dem Stand der derzeitigen Annahmen, von sieben bundesdeutschen und einefn Schweizer Theater nachgespielt werden.

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Was sich am Anfang der laufenden Spielzeit bis Ende September, innerhalb von nicht ganz fünf Wochen, im Bereich des Wiener Theaters ereignete, gab es wohl schon lange nicht: Vier Uraufführungen und vier deutschsprachige Erstaufführungen, von einer Premiere abgesehen, alle an Großbühnen. Stärkste Beachtung fand die Uraufführung der neun Bilder „Change” des 28jährigen Grazers Wolfgang Bauer im Rahmen der „Konfrontationen” des Volkstheaters. Dieses Stück wird, nach dem Stand der derzeitigen Annahmen, von sieben bundesdeutschen und einefn Schweizer Theater nachgespielt werden.

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Die Verkommenheit eines kleinen Teils der heutigen intellektuellen Jugend in der Wohlstandsgesellschaft ist ein Alarmzeichen unserer Zeit. Wie in dem erfolgreichen Stück „Magic Afternoon” führt Bauer auch hier eine Gruppe völlig haltloser junger Menschen vor, von denen man behaupten könnte, daß sie Sades Forderung befolgen, keine anderen Fesseln als die eigenen Neigungen anzuerkennen. So reicht ihre Hemmungslosigkeit bis zum Verbrechen. Bauers Szenen stehen Bonds „Gerettet” in nichts nach.

Gegenüber „Magic Afternoon” gibt es neue Motive, von denen das tragende schon in dem früheren Stück in einigen Zeilen andeutend vorhanden war. Fery, der wenig produktive Maler, fühlt sich „irrsinnig produktiv” als er auf den Einfall kommt, den Schlosser Blasi Okopenko, einen Pinsler von Landschaften, als große Künstlerpersönlichkeit aufzu-bauen, dann fallen zu lassen und damit in den Selbstmord zu treiben. Was die Menschheit von der Biologie her ungeheuerlich bedroht, das Manipuliertwerden, ist hier in nuce und zwar spielerisch, mit einem Ansatz von Sadismus eingesetzt Doch überrundet der Manipulierte den Manipulieren Fery randaliert aus überkompensierter Schwäche, wird von einem Polizisten ange- schąssen, traktiert seine ehemalige Geliebte Guggi, die von Blasi schwanger ist, mit Schlägen, so daß sie ihr werdendes Kind verliert. Aber trotz aller Brutalitäten — auch die ältere Generation, Guggis Mutter vor allem, ihr Mann, der Hofrat, sind hier einbezogen — ändert sich die Situation zwischen diesen Menschen nicht, sie finden sich am Schluß wieder zusammen, tauschen spielerisch ihre Individualität — Change —, Fery etwa gehabt sich als Blasi, Blasi als Fery. Tausch, nicht nur des Sexpartners!

Fery sagt einmal, das Manipulieren sei wie jede andere Beschäftigung „so schön sinnlos”. Jeder Mensch kann in seinem Leben Sinn finden; diese jungen Menschen finden ihn nicht, sie sind innerlich völlig leer, daher bereitet es ihnen Spaß, ihr Ich, das kein Ich ist, auszutauschen. Und Fery erhängt sich auf dem Klo. Damit spricht Bauer das Urteil über sie.

Handlungsansätze werden fallengelassen, haben nicht ihre zwangsläufige Folge; es ist unsinnig, daß sich in der Hofratswohnung alles in der Küche begibt; Blasis besoffenes Herumtoben in einem nächtlichen Krankensaal wirkt völlig unglaubwürdig; zwei Szenen erweisen sich als unnötig. Vor allem aber: Wo liegen die Ursachen dieser erschrek- kenden Leere bei den jungen Menschen? Das wird auch nicht andeutend aufgezeigt.

Unter der Regie von Bernd Fischerauer kommt eine in allen Rollen trefflich besetzte Aufführung zustande. Das Tempo schleppt manchmal, andere Szenen werden allzu übersteigert ausgespielt. Bernd Spitzer als exaltierender Kümmerer Fery, der vitale Herwig Seehock als plump-brutaler Blasi, Elisabeth Masek als kühle, sexuelle, haltlose Guggi, Herbert Propst als reicher Schwuler, Walter Langer als wurmstichiger Journalist, Ilse Hanel als libertine Hofratsgattin und Brigitte Swoboda als leichtfertige Krankenschwester geben dem Abend das Gepräge. Der Bühnenbildner Gerhard Janda kennzeichnete gut die unterschiedlichen Milieus.

Im Vc/lkstheater gab es eine zweite Uraufführung, ein Stück, das weiterhin in den Wiener Außenbezirken angeboten wird: Die Komödie „Das Finanzamt” von Alexander Leroet-Holenia. Die Bezeichnung stimmt nicht, es ist ein mit herkömmlichen Mitteln routiniert fabrizierter Schwank. Der „Steuerhinter- zieher” Ortlieb will heiraten — wen? Selbstverständlich die Tochter jenes Steuerhofrats, der im besonderen ihn und generell alle zu Versteuernden als geborene Verbrecher ansieht. Kommt hinzu, daß der Oberrevident, der seinen Akt bearbeitet, ebenfalls heiraten will — wen? Die zweite Tochter besagten Hofrats. Das ergibt Verwicklungen, wobei die Methoden der Finanzämter, die Methoden des Staats in der witzigsten Weise als unmoralisch gebrandmarkt werden. Je pointierter, je ätzender die Sot- tisen sind, desto mehr lacht das Publikum darüber, daß dem übermächtigen Staat eins ausgewischt wird. Unter der Regie von Gustav Manker bietet Peter Hey eine beinahe beklemmend echt wirkende Leistung als Steuerhofrat. Harry Fuss und Heinz Petters, Relly Gmei- ner und Adolf Böhmer sind typenmäßig gut eingesetzt.

Im Theater der Courage tritt unter dem Titel „Heute Abend — Mark Twain” der aus Wien stammende austro-amerikanische Schauspieler Herman Schwedt in der Maske dieses sarkastischen Humoristen auf. Fiktion: Mark Twain befinde sich auf einer seiner Vortragstourneen, die ihn bis Afrika und Indien führten. Was Schwedt erzählt, sind, von F. A. Boyd aus dem 26bändigen Werk dieses Schriftstellers kompiliert, ebenso witzige wie hintergründige Anekdoten und Betrachtungen schärfster Beobachtung, die immer wieder den „schwarzen Humor” von heute vorwegnehmen. Ein geistvoll-amüsanter Abend.

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