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Machtverlust durch Wende
Wir kennen alle die alte Forderung Piatons, daß die Könige Philosophen und die Philosophen Könige werden sollen, und wir wissen freilich auch, wie katastrophal Piaton selbst beim Versuch der Realisierung eines solchen Versuchs in Sizilien scheiterte.
Höchst aktuelle und sehr beunruhigende Beispiele zu diesem Thema haben wir tragischerweise durch den Zusammenbruch des Kommunismus erlebt. Da die Intellektuellen bei diesem Umsturz eine entscheidende Rolle gespielt hatten, waren sie nun auch an der Reihe, wichtige Positionen in den neuen Regierungen einzunehmen. Sie sind fast alle gescheitert. Es zeigte sich, daß zum Regieren praktische Qualitäten gehören, über die Intellektuelle fast nie verfügen. Diese Tatsache muß man leider zur Kenntnis nehmen.
Eine andere Tatsache ist jedoch fast noch unangenehmer, daß nämlich viele Intellektuelle, die einst den Kommunismus aufs heftigste bekämpft hatten, nach der „Wende” zunehmend die angeblich so trefflichen Vorzüge dieses Systems erkennen. Von Stefan Heym bis Christa Wolf beispielsweise treten zahlreiche Autoren auf, deren Nostalgie für den Kommunismus erwachte. Wie ist das möglich gegenüber einem System, das ihnen die Arbeit verbot und sie mit Gefängnis und Hinauswurf bedrohte? Auch viele, die zur Emigration in den Westen gezwungen worden waren, haben sich nun entschlossen, für die guten Eigenschaften des einstigen Systems zu schwärmen wie etwa der Germanist Hans Mayer.
Woher kommt solch masochistischer Realitätsverlust? Die überzeugendste Erklärung ist die Trauer um den Verlust von konkreter Macht. Denn damals im Kommunismus hatte auch das verbotene Wort Macht, gerade dadurch, daß es verboten wurde. In der Demokratie hingegen ist jede Meinungsäußerung frei. Tonnen von Papier, bedruckt mit widersprüchlichsten Meinungen, kommen auf den Markt - und werden kaum beachtet. So trauern Oppositionelle jenen Zeiten nach, in denen ihr Wort als Gefahr aufgefaßt wurde. Demokratie und Marktwirtschaft bringen mit der Freiheit ganz andere, sehr differenzierte Probleme. Die Umstellung der Intellektuellen auf die einst so intensiv angestrebte „Wende” verläuft für sehr viele weitaus schwieriger, als wir alle erwarteten.
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