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Neubenennung

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Das aktuelle politische Geschehen macht uns klar, daß wir zumeist in Begriffen denken, die längst überholt sind. So etwa wurden die so oft gebrauchten Worte Kommunismus und Demokratie zu sehr verschwommenen Bezeichnungen. Die Demokratie mit ihrer Marktwirtschaft, ihrem Pluralismus, ihrer parlamentarischen Regierung hat eben erst triumphale Bestätigung gefunden.

Der Kommunismus hingegen scheint eine vernichtende Niederlage erfahren zu haben -Oder ist eine solche Feststellung verfrüht? Das rumänische Regime etwa weist zwar jede Kritik, daß es nach wie vor kommunistisch sei, mit Entrüstung zurück, von Kommunismus ist weder im Parteinamen noch in Erklärungen die Rede. Dennoch sind sich viele Kenner darin einig, daß die kommunistische Staatsstruktur nach wie vor existiert.

Und wie wird die UdSSR regiert? Ist nicht dort, wie auch in Rumänien, der alte Apparat der Funktionäre nach wie vor erhalten? Der bedeutende, in München lebende russische Schriftsteller Alexander Sino-wjew, einer der scharfsinnigsten, aber auch umstrittensten Kritiker des Kommunismus, warnt unermüdlich, vom Ende des Kommunismus zusprechen. ■ Der Kommunismus, so meint er, befinde sich lediglich in einer Krise, die bald überwunden sein werde. Überwunden wodurch? Durch eine Restaurierung der alten Machtinstrumente, die ohnedies noch vorhanden seien.

Derlei ist, so ergänze ich, in Rumänien sehr deutlich überschaubar. Kann man aber einen Kommunismus, der sich selbst nicht mehr so bezeichnen will, der mit den Lehren von Marx und Lenin nichts mehr zu tun hat, in dem sich autonome Machtstrukturen ohne kommunistische Ideologie herausgebildet haben, noch als Kommunismus bezeichnen? Handelt es sich nicht eher um eine Art postkommunistischen Zentralismus, einen Kollektivstaat, der die mehr oder weniger kollektive Gesellschaft weiterhin aufrechterhält, auch ohne Berufung auf Marx und Lenin?

Sogar die Bezeichnung Faschismus wäre in diesem Fall irreführend, da es sich dabei um andere, bereits historisch gewordene Staatsform handelt. Wie ja auch der Kommunismus bereits historisch geworden ist.

Natürlich haben auch die Begriffe Kapitalismus und Demokratie eine gewaltige inhaltliche Veränderung erfahren. Auch sie sind heute in anderem Sinn zu verstehen: Konzernbildungen, Gewerkschaften, staatliche Subventionen samt deren Einfluß, Gesundheitspolitik, Sozialnetz haben den Kapitalismus gewandelt und gleichzeitig neue Probleme geschaffen. Eine neue begriffliche Sprache wird nicht zu vermeiden sein. Die Dimensionen der inhaltlichen Wandlung und wohl auch der Neubenennungen lassen sich noch nicht absehen.

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