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Skandale

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Man möchte Gellerts Fabelverse abwandeln und sagen: „Ja, ja, Skandale müssen sein. Gesetzt, sie wären nicht auf Erden ...“

In der Tat hat es Betrugs- und Korruptionsaffären immer und überall gegeben. Aus der Zwischenkriegszeit sind uns unter anderem die Namen der „Europagrößen“ Kreuger und Stawisky und, rund herausgesagt, auch einiger „Eingeborenen“ im Ohr. Und im zweiten Weltkrieg, na ja, Diktaturen pflegen Korruptionsaffären lautlos und unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu liquidieren, einmal weil sie ständig die überspannte Pflicht zur „makellosen Autorität“ dazu zwingt, und dann, weil ihre Extremsituationen tatsächlich manchmal die Neigung zu Skandalen abschwächen. Möglich, daß einzelne Diktaturen schon in sich unterdrückte Korruption darstellen. Im „oligaßchischen Gefüge“ der Demokratie ist das alles anders. Hier klopft einer dem anderen auf die Finger, und die Zeitungen haben das Recht und die Pflicht, unsaubere Dinge offen aufzuzeigen und auszubreiten, auch wenn sie manchmal dafür beschlagnahmt werden.

Das aber kann natürlich kein Generalpardon für die Vorfälle der letzten Zeit sein. Denn das Quartett Strengberg — Bautenschmieren — Newag — Kasino kann sich hören und sehen lassen, in seiner Ausdehnung wie auch in seiner Lautstärke und den politischen Wellen, die es bis ins Hohe Haus und in breiteste Volksmassen schlägt. Es ist schwer, einen gemeinsamen Nenner dafür zu finden, denn hier mischen sich Ehr geiz und Machtgier, geldliche Unersättlichkeit und Konjunkturgeschwüre. Aber das Monatseinkommen einiger Beteiligter, das die „Neuen Armen“, die alleinverdienen- den Familienväter und einen Großteil der Rentner zur Weißglut bringen muß, weist doch einen Weg. Und es wird so etwas wie ein ter- tium comparationis sichtbar: Das eben ist der Fluch unmäßig hoher Einkommen im Wohlstand, daß sie fortzeugend neue Gier gebären müssen.

Es ist daher Demagogie, wenn ein rötliches Boulevardblatt der ÖVP allein 36 Nachkriegsflecken anmalt, die der Nachbarparteien aber schamhaft ausklammert. Nein, so einfach liegt der Fall nicht. Das hätte das Wählervolk längst bemerken — und quittieren müssen. Hier handelt es sich vielmehr um eine Herzverfettung, eine Wohlstandskrankheit, die quer durch alle Schichten geht. Und das ist auch das Bedenkliche, das Ansteckende daran, das vom Murks und der Lotterarbeit der kleinen Fische bis zum großen Raubzug der Haie reicht.

Wir lechzen alle nicht nach Blut und rollenden Köpfen, sondern nach frischer Lüft und Sauberkeit. Strenge „ohne Ansehen von Rang und Stand“ tut natürlich not. Aber wir haben alle zusammen, fast alle, zu üppig geschmaust. Und wir müssen lernen, zu essen, ohne uns den Magen zu verderben. Und das heißt kurz und bündig: den Wohlstand verdauen. Sonst kann es passieren, daß wir bei der nächstbesten Wirtschaftsflaute eingehen — oder daran gesund werden.

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