Die Arznei ohne Nebenwirkung

Die moderne Medizin wird von zwei Seiten bedroht: von einem Trend zu einer „Maschinenmedizin“, die das Wohlergehen des Patienten vernachlässigt und von einer sich Ganzheitsmedizin nennenden Naturheilkunde, die Gefahr läuft, wissenschaftliche Fortschritte zum Schaden des Patienten zu ignorieren. „Die Heilkunst muß eine Einheit von • Wissen um das Heilen und Willen zum Heilen sein“, postuliert Karl Hermann Spitzy.

Dem Dämon der Krankheit steht oft genug trügerische Hoffnung gegenüber und in dieser Situation lastet die Verantwortung für den Patienten allein auf dem Arzt. Seit den Uranfängen der Heilkunde ist das Selbst

verständnis des Arztes durch dialogisches Handeln bestimmt, es ist eine Geschichte der Partnerschaft von Arzt zu Patient oder indirekt von beratendem Forscher und Spezialisten, denn wir behandeln Kranke und nicht Krankheiten“, wie Nothnagel als Vertreter der Wiener Medizinischen Schule sagt.

Die Zahl der Patienten nimmt zu, die Zahl der Studenten ebenfalls, damit die Überlastung eines Klinikchefs. „Eine Möglichkeit, seine Zuneigung zum Patienten zu zeigen, ist die körperliche Berührung, die von einem freundlichen Blick begleitet wird, eine Geste des Einverständnisses mit dem Patienten auf gleicher Ebene, die das Hemmende der hierarchischen Struktur bricht. Zuwendung ist keine Frage der Zeit, es

genügt ein Augenblick. Sie ist selbst wirksame Arznei, als Droge Arzt ohne Nebenwirkungen und mit nur geringer Suchtgefahr“, formuliert Spitzy.

Auf die Basis von Ich und Du verlegt Spitzy nicht nur den Umgang am Krankenbett, sondern auch die Entscheidungshilfe in kritischen Situationen, die den Arzt auf die_ Probe stellen. „Ob er lügen soll, ob er ein- greifen darf, bis zur Entscheidung einer bewußten Verkürzung des Lebens. Dialogisches Denken kann hier hilfreich sein. Ich und Du als gottgebundene Einheit zu sehen, die Liebe in den Mittelpunkt der Entscheidung zu stellen und damit die persönliche in den Bereich zu übernehmen, der der Philosophie (noch) nicht zugänglich ist?“.