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Mangelnde Sprachkultur

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Das Medizinstudium betrifft Gesundheit, Krankheit, Entstehung des Lebens und Tod, Bereiche des menschlichen Lebens, die jeden angehen. Demnach sollte auch das Interesse der Öffentlichkeit groß sein, sowohl eine gute Bildung als auch eine fachlich ausgezeichnete Ausbildung zu ermöglichen. Ich habe allerdings den Eindruck, daß gegenwärtig die Frage der Kürzungs- und Eingrenzungsmaßnahmen gegenüber allen vernünftigen Studienre-formvorschlägen weit im Vordergrund steht.

Mit Recht wird immer wieder auf die Gefahr des „Verlustes der Sprache", vor allem bei Medizinern und Ärzten, hingewiesen. In der medizinischen Ausbildung hat man frühestens erst drei Jahre nach Studienbeginn Kontakt mit kranken Menschen. Ein Student der Medizin muß in seinem ganzen Studienverlauf kaum einen vollständigen Satz schriftlich formulieren!

Weder das Gespräch des Arztes mit dem Patienten noch das Gespräch zwischen Ärzten wird gelehrt, geübt oder gepflegt. Die Kommunikation wird Maschinen überlassen, die allerdings oft erst selbst die größten Probleme für die Kommunikation, auf jeden Fall die Kommunikation mit Beziehung, schaffen.

Die eigentlichen Schwierigkeiten in Krankenhäusern liegen im Bereich der „ Beziehung". Mangel an Feingefühl, an Empathie, Mangel an Höflichkeit und auch an Schulung, wie man mit Patienten spricht, führen alltäglich zu Mißverständnissen und zur Verschlechterung der Lebensqualität für alle Beteiligten, insbesondere für die Patienten.

Diese Aussagen werden durch Berichte von Patienten und auch von unabhängigen Beobachtern sowie auch von der für die steirischen Spitäler zuständigen Ombudsfrau unterstützt und bestätigt. Naturgemäß muß man an dieser Stelle aber auch feststellen, daß Pauschalbeurteilungen und Pauschalverurteilungen unzulässig sind und daß es auch hervorragende und feinfühlige Ärzte gibt. Der Trend aufgrund der derzeitigen Probleme in Erziehung und Studium geht allerdings in Richtung „Kommunikation ohne Beziehung".

Ich möchte allerdings zusätzlich ein deutliches W7ort gegen den Begriff „Gerätemedizin" in diesem Zusammenhang aussprechen. Jeder, der einmal von der Verfügbarkeit solcher Geräte profitieren konnte, sollte sich hüten, darüber pauschal zu polemisieren.

Es ist allerdings selbstverständlich, daß ein Arzt immer den Menschen als Person des gegenseitigen Bezuges sehen muß, auch wenn für den Arzt wesentliche Informationen von Geräten geliefert werden und über Geräte vermittelt werden.

Ich verweise in diesem Zusammenhang abschließend auf die Ordensregel des heiligen Benedikt aus dem sechsten Jahrhundert. In Kapitel 36 wird eine grundlegende Zusammenfassung der Aufgaben und Pflichten jener Ordensbrüder beschrieben, die mit der Pflege der Kranken befaßt sind.

Es sind dies genau die Aufgaben, die im allgemeinen das ärztliche und medizinische Personal in jedem Spital im Sinne einer Kommunikation mit Beziehung hat: „Die Sorge für die Kranken steht vor und über allen anderen Pflichten." Den Pflichten gegenüber den Kranken wird aber auch entgegengestellt: „Aber auch die Kranken dürfen die Brüder, die ihnen dienen, nicht durch ihre Ansprüche betrüben. Doch muß man solche Kranke in Geduld ertragen."

In einem Leitartikel in der „Kleinen Zeitung" vom 15. September 1996 beschreibt Kurt Wimmer die Wurzeln unserer derzeitigen Probleme, indem er eine Diagnose zitiert, die Albert Schweitzer schon 1923 gestellt hat: „Das Verhängnis unserer Kultur ist, daß sie sich materiell viel stärker entwickelt hat als geistig". Er schließt seinen Artikel mit den Worten: „Zum Geistigen gehört auch das Religiöse. Und die Kälte, die all-enthalben konstatiert wird, könnte auch vom Frost der Sinnlosigkeit stammen".

Der Autor ist

Professorfür Physiologie an der Karl-Franzens-Universität in Graz und Dekan ihrer Medizinischen Fakultät.

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