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Das Bauerndorf gibt es nicht mehr

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Kurz vor dem Tag der letzten Nationalratswahl schrieb Niederösterreichs Bauernbunddirektor und Landtagspräsident Robl dem ORF-Generalintendanten einen Brief; er forderte darin, man möge in der Wahlnacht bei der Wahlanalyse — der mittlerweile bekannten Multi-variantenanalyse — nicht wieder den Ausdruck „typische Agrargemein-den“ verwenden: denn typische Agrargemeinden gebe es in Österreich schon längst nicht mehr.

Warum der Bauernbunddirektor den erwähnten Ausdruck in der Wahlanalyse nicht mehr hören wollte, ist klar. Bei den Nationalratswahlen im März 1970, die der SPÖ zur Minderheitsregierung verhalfen, war nämlich im TV bei der Wahlanalyse kundgetan worden: „In den Agrargemeinden hat die ÖVP schlecht abgeschnitten.“ Das hieß für den unbefangenen Zuhörer: Auch die zent oder 1,5 Millionen, vor dem Bauern sind keine treuen ÖVP-Wäh- Krieg (1934) gar noch 27,2 Prozent ler mehr. oder 1,8 Millionen.

Von 27,2 auf 12,6 Prozent

Verständlich, daß diese politisch sehr bedeutsame — und falsche — Auslegung den Bauernbund ärgert, um so mehr, als man dort schon längst wußte, was das IFES-Institut Karl Blechas „übersehen“ hatte: Daß es nämlich keine Agrargemeinden mehr gibt.

Eine dieser Tage vom Statistischen Zentralamt veröffentlichte Mikro-zensus-Erhebung gibt nun den Bauern höchst amtlich im nachhinein recht. Zunächst wird in dieser Erhebung festgestellt, daß der Anteil der Österreicher, die von der Land-und Forstwirtschaft leben, nur noch 12,6 Prozent oder 940.000 beträgt. Noch 1951 betrug ihr Anteil 21,9 Pro-

Die bäuerliche Bevölkerung macht also heute nur noch ein Achtel der österreichischen Gesamtbevölkerung aus. Und wo leben die Bauern? Natürlich hauptsächlich in Kleingemeinden. Die Statistik zeigt, daß aber auch in den Klein- und Kleinstgemeinde, die 2000 Einwohner oder weniger haben, der Anteil der Agrarbevölkerung nur noch 28,4 Prozent ausmacht. In den Gemeinden mit 2000 bis 5000 Einwohnern liegt der bäuerliche Anteil gar nur noch bei 14,7 Prozent. Kann man aber Gemeinden mit einem bäuerlichen Anteil von weniger als einem Drittel der Einwohner noch als Agrargemeinden, als Bauerndörfer bezeichnen? Wohl kaum.

Das Bauerndorf von früher gibt es in Österreich also nicht mehr. Die ehemaligen bäuerlichen Bewohner sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten entweder abgewandert oder haben sich, obwohl noch im Dorf lebend, anderen Berufen zugewandt.

Zweifellos war und ist Abwanderung eines Teiles der Bauern eine strukturbedingte Notwendigkeit, die den verbleibenden Landwirten helfen konnte, ihre Betriebe zu vergrößern und zu rationalisieren. Wenn aber allzu viele Bauern Dorf und Beruf verlassen, muß darin auch eine Gefahr für den gesamten ländlichen Raum, aber auch in gewissem Sinn für den Gesamtstaat gesehen werden. Eine Regierungspolitik, die sich allzu agrarfeindlich zeigt, wäre jedenfalls gerade in der Phase eines so tiefgreifenden Strukturwandels nicht eben ungefährlich.

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