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Im Rausch der Sexualdemokratie

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Ein äußerst amüsantes Buch des bekannten Politologen, Soziologen und Kulturanalytikers Armin Möhler. Man fragt sich bei dieser erfrischenden Lektüre, warum es in unserem .christlich-koservativen' Schrifttum unbedingt sonst so eunuchoid-leisetreterisch zugehen muß. Vielleicht glaubt man höchst naiv auf die unerhörte Vulgarität der Neuen Linken mit akademischer Langeweile reagieren zu müssen. Unser Autor, ein Privatdozen't an der Universität Innsbruck, hatte jedoch lange in Frankreich gelebt, wo man für den Mangel an Aufrichtigkeit, Offenheit und Schwung nur Verachtung übrig hat. (Ist es doch bezeichnend, daß man bei uns auch die kraftvollen Briefe und Essays von Bernanos dem deutschen Bildungsspießer immer noch vorenthält.) Amch ist sich Möhler der Komik bewußt, die dem Sexus wesenhaft zu eigen ist... und der undie Linke ständig charakterisiert.

Gegen die Sexwelle — die aktu-ierte Geschlechtlichkeit als einzig legitime Leistung einer ansonst bösen Leistungsgesellschaft, als einzige legitime Ware in der ansonsten finsteren Konsumentengesellschaft — nimmt der Autor keine moralisierende, christliche oder puritanische Haltung ein. Möhler sieht sehr deutlich den Zusammenhang

Sexwelle und der Linkswelle, aber dieser Nexus allein füllt nicht das Buch. Er weiß als Mann der Welt mit offenen Augen, daß „der Sex“ als Fleißaufgabe betrieben nicht nur die Liebe zu zerstören droht, sondern auch die Geschlechtlichkeit selbst. Tabus, lesen wir hier, sind in ihrer Mehrheit sinnvoll. Es ist nun einmal so, daß der Mensch als M ohle r, Verlag Rombach, Freiburg. Homo sapiens nur in einer künstli- 88 Seiten, gebunden DM 9.—. chen Welt leben und bestehen kann und daß der Traum einer Rückkehr zu einer (allerdings bloß imaginären) „Natur“ im wahrsten Sinne des Wortes unmenschlich ist. Ein maximaler Sexualismus (der übrigens auch dem Tierreich fremd ist) schlägt darum in sein Gegenteil um: Impotenz und Frigidität drohen als Strafe. Möhler setzt seinem Buch ein Zitat von Jean Cau vor: „Die Hölle ist nicht so, wie wir sie uns vorgestellt haben. Sie besteht darin, daß man in Ewigkeit tun muß, was man am liebsten getan hat. Zum Beispiel den Liebesakt.“ Der Eudaimonismus enthüllt sich als fausse idee claire.

Dieses Traktat wurde von einem Konservativen geschrieben, und das bedeutet eine gute Dosis von Common sense, „gesundem Menschenverstand“ in der Betrachtungsweise wie auch eine solide Einsicht in die menschliche Natur. Nicht zufällig ist es für Möhler, daß die Sexwelle ihre puritanischen Wohlfahrtsgürtel'' (Nordeuropa-Nordamerika) erfahren hat, während die romanischen Völker (zum Teil dank ihrer „katholischen Sinnlichkeit“) gegenüber dieser Hysterie etwas immuner geblieben sind. Allerdings auf Aktion und Reaktion allein ist dieses Phänomen nicht zu reduzieren. Es zeigt entschieden ideologische Aspekte und hat auch mit dem Verfall eines masochistisch-linksdralligen Bürgertums viel zu tun. Auf diesen Seiten findet man aber noch viel mehr, sowohl tiefe als auch witzige Beobachtungen. Mehr lachend als weinend legt man dieses brillante und auch vergnügliche Buch aus der Hand.

SEX UND POLITIK. Von Armin

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