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Vier Fragen an die Verfassung

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Am 10. und 11. Juni 1979 sind Österreichs Arbeitnehmer aufgerufen, ihre gesetzliche Interessenvertretung, die Arbeiterkammer, zu wählen. Bei der letzten Wahl im Frühherbst 1974 konnte der ÖAAB seine Position von 23,5 auf 29,1 Prozent aller abgegebenen Stimmen ausweiten. Die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter (FSG) fiel von 68,3 auf 63,4 Prozent zurück. In Vorarlberg erreichte der ÖAAB sogar die absolute Mehrheit. Die Tatsache, daß nach Wunsch der Sozialisten im Juni 1979 die Familienangehörigen der Betriebsinhaber unter den Arbeitnehmern nicht mehr wählen dürfen, wird vielfach als gewaltsames Frisieren des Wahlresultates verstanden. Dazu zwei Stimmen von bekannten

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Am 10. und 11. Juni 1979 sind Österreichs Arbeitnehmer aufgerufen, ihre gesetzliche Interessenvertretung, die Arbeiterkammer, zu wählen. Bei der letzten Wahl im Frühherbst 1974 konnte der ÖAAB seine Position von 23,5 auf 29,1 Prozent aller abgegebenen Stimmen ausweiten. Die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter (FSG) fiel von 68,3 auf 63,4 Prozent zurück. In Vorarlberg erreichte der ÖAAB sogar die absolute Mehrheit. Die Tatsache, daß nach Wunsch der Sozialisten im Juni 1979 die Familienangehörigen der Betriebsinhaber unter den Arbeitnehmern nicht mehr wählen dürfen, wird vielfach als gewaltsames Frisieren des Wahlresultates verstanden. Dazu zwei Stimmen von bekannten

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Rechtslehrern.

Das unter BGBl. 519/1978 kundgemachte Bundesgesetz hat Änderungen des Wahlrechtes nach dem Arbeitsverfassungsgesetz, dem Landarbeitsgesetz und dem Arbeiterkammergesetz zum Gegenstand. Dabei handelt es sich um Neuregelungen des aktiven und passiven Wahlrechtes.

Die betroffenen Verwandten

Gemäß 36 Abs. 2 Z. 2 Arbeitsverfassungsgesetz in neuer Fassung gelten außer den nach der bisherigen Rechtslage angeführten Personen nicht als Arbeitnehmer der Ehegatte des Betriebsinhabers und Personen, die mit dem Betriebsinhaber im ersten Grad verwandt oder verschwägert sind; ferner in Betrieben einer juristischen Person die Ehegatten von Mitgliedern des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, sowie Personen, die mit Mitgliedern eines solchen Vertretungsorgans im ersten Grad verwandt oder verschwägert sind (Art. I des Gesetzes).

Auf Grund des 111 Abs. 2 Z. 2 Landarbeitsgesetz in neuer Fassung gilt die gleiche Regelung für den Begriff des Dienstnehmers im Sinne des Landarbeitsgesetzes (Art. II des Gesetzes) und zufolge der neu einge-

führten Bestimmung des 5 Abs. 2 Lit. h Arbeiterkammergesetz gehören die angeführten nahen Angehörigen nicht den Arbeiterkammern an (Art. III des Gesetzes).

Gemäß 53 Abs. 3 Arbeitsverfassungsgesetz in neuer Fassung sind außer den schon nach der bisherigen Rechtslage von der Wählbarkeit ausgeschlossenen Personen auch solche Personen nicht wählbar, die mit Mitgliedern des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, bloß im Zweiten Grad (früher lag die Grenze beim ersten Grad) verwandt oder verschwägert sind oder zu ihnen im Verhältnis von Wahl- oder Pflegekind, Wahloder Pflegeeltern sowie Mündel oder Vormund stehen (Art. I des Gesetzes), y • “•• ■

Nach 4 128 Abs. 3 Landarbeitsgesetz in neuer Fassung ist die gleiche Änderung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eingetreten (Art. II des Gesetzes). Was die Arbeiterkammern betrifft, wirkt sich die zuvor erwähnte, neu eingefügte Bestimmung des 5 Abs. 2 Lit. h Arbeiterkammergesetz auch auf die Wählbarkeit aus, da das passive Wahlrecht an die Kammerzugehörigkeit gebunden ist ( 9 Arbeiterkammergesetz).

Viele verfassungsrechtliche Bedenken, die gegen diese Neuregelung sprechen, sind schon in dem Minderheitsbericht festgehalten, der zu dem das vorliegende Bundesgesetz betreffenden Initiativantrag erstattet

wurde. Im folgenden sollen daher nur neue Gesichtspunkte, welche die dargelegte Regelung verfassungsrechtlich nicht einwandfrei erscheinen lassen, kurz angeführt werden.

1. Auf Grund des Berichtes des Ausschusses für soziale Verwaltung in Verbindung mit dem Inhalt der Gesetzesnovelle ist die Ansicht nur zu gerechtfertigt, daß die Neuregelung in erster Linie den Zweck verfolgt, eine politische Partei zu begünstigen und andere politische Parteien zu benachteiligen. Dagegen wende man nicht ein, daß die begünstigte Partei die Interessen der Arbeitnehmer besser vertrete, als es die anderen Parteien tun.

Denn abgesehen davon, daß eine solche Behauptung in dieser Allgemeinheit gewiß in Frage gestellt werden kann, sind vom Standpunkt des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes aus, soweit es von politischen Parteien spricht (so etwa in Art. 26 Abs. 6, 35 Abs. 1, 55 Abs. 2 und 81a Abs. 3 Lit. a), diese Parteien, sofern sie demokratisch sind und nicht etwa auf dem Umwege über die Demokratie diese Staatsform beseitigen wollen, wofür es in nicht allzu weit zurückliegender Vergangenheit Beispiele gibt, im allgemeinen als gleichwertig anzusehen.

Mit Parteiengesetz nicht im Einklang

Allein deshalb ist eine Regelung, die den einzelnen politischen Parteien nicht von vornherein die gleichen Chancen einräumt, als mit dem Geist der Verfassung nicht in Einklang stehend anzusehen. Vollends ergibt sich die Richtigkeit dieser Rechtsauffassung aus der Verfassungsbestimmung des Art. I 1 des Parteiengesetzes.

Danach sind Existenz und Vielfalt politischer Parteien wesentliche Bestandteile der demokratischen Ordnung der Republik Österreich (Mehrparteiendemokratie im Gegensatz zum totalitären Einparteiensystem) im Sinne des Art. I Bundesverfassungsgesetz. ( 1 Abs. 1 Parteiengesetz), gehört die Mitwirkung an der politischen Willensbildung zu den Aufgaben der politischen Parteien ( 1 Abs. 2 Parteiengesetz), ist die Gründung politischer Parteien frei, sofern bundesverfassungsgesetzlich nichts anderes bestimmt ist und darf schließlich ihre Tätigkeit keiner Beschränkung durch besondere Rechtsvorschriften unterworfen werden ( 1 Abs. 3 Parteiengesetz).

Auch der weitere Umstand, daß man diese Parteien nach ihrer jeweiligen Stärke sich um Funktionen in den Interessenvertretungen der Ar-beit(Dienst)nehmer bewerben läßt und gemäß Art. II 2 Parteiengesetz ihnen je nach ihrer Stärke Förderungsmittel für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit zuzuwenden hat, bestätigt den hier vertretenen Rechtsstandpunkt.

2. Leitende Angestellte, denen ein maßgebender Einfluß auf die Führung des Unternehmens zusteht, sind

schon auf Grund der bisherigen Regelung nicht als Arbeit(Dienst)neh-mer anzusehen ( 36 Abs. 2 Z. 2 Arbeitsverfassungsgesetz, 111 Abs. 2 Z. 2 Landarbeitsgesetz und 5 Abs. 2 Lit. b Ärbeiterkammergesetz - letztere Bestimmung spricht von einem

dauernd maßgebenden Einfluß -).

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Durch die Neuregelung werden also grundsätzlich nur solche Personen des Schutzes der Interessenvertretung verlustig, denen kein maßgebender Einfluß auf die Unternehmensführung eingeräumt ist und die daher auf Grund ihrer Wirtschaftsund sohin Interessenlage sicherlich nicht den Unternehmern, sondern den Arbeitnehmern zuzuordnen sind. Sie im Sinne der Neuregelung aus dem Kreise von Arbeitnehmern auszuschließen, erweist sich mithin mit dem Gleichheitssatz in Widerspruch und somit verfassungswidrig.

3. Allgemein annehmen zu wollen, daß nahe Angehörige eines Betriebsinhabers unter allen Umständen dessen Interessen und niemals die der Arbeitnehmer vertreten, ist unzutreffend und wird durch die Erfahrungen des täglichen Lebens zur Genüge widerlegt. Dies gilt vor allem dann, wenn die nahen Angehörigen des Unternehmers wirtschaftlich in keiner Weise selbständig, sondern durchaus unselbständig sind.

4. Wollte man den dem vorliegenden Bundesgesetz zugrundeliegenden Gedankengang weiter entwik-keln, so müßte man bei Parlamentswahlen den nahen Angehörigen von Bewerbern um Parlamentssitze und bei Bundespräsidentenwahlen den nahen Angehörigen der Präsidentschaftskandidaten das Wahlrecht aberkennen, und auf einen so abwegigen Einfall ist wohl noch niemand gekommen. Letzten Endes haftet notwendigerweise jeder Wahl und daher auch jedem Wahlrecht ein Element der Parteilichkeit an, da man sich in der Regel für jenen Bewerber entscheidet, durch den man seine Rechte und Interessen am besten gewahrt erachtet.

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