Vom freien Flug der Geister

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Wie viel Staat, wie viel Privat? Wo sinnvoll deregulieren – und wo die staatliche Kontrolle, ja Basisversorgung stärken? Die Urkraft, mit der uns die globale Finanzkrise diese Schicksalsfrage stellt, trifft Österreich im Finale der Regierungsbildung. Sie trifft Rot und Schwarz in ihren letzten verbliebenen Ideologie-Resten. Und: Sie trifft genau jene politische Elite, deren Denken und Tun eben erst vom Wähler eindrucksvoll bestraft worden ist.

Wer also weiß, wie es nun weitergehen soll, um unsere Zukunftsfähigkeit zu sichern: Herr Faymann und seine SPÖ-Gremien? Herr Pröll jun. und seine VP-Granden? Beide zusammen? Oder keiner? Wie viel „neues Denken“ ist von Koalitionsverhandlern zu erhoffen, die sich zuletzt mit einem recht schlichten Frage- und Antwort-Spiel geneckt hatten, bis das Staatsoberhaupt erleichtert „Alles auf Schiene!“ melden konnte.

Gedemütigte Bürokratie

Mein Herausgeber-Kollege Wilfried Stadler hat vergangene Woche an dieser Stelle den Finger auf eine offene Wunde gelegt. Kurz gesagt: Wo sind die Denker, die jetzt bereitstehen, um einer ausgelaugten politischen Klasse jene „zukunftsorientierten Lösungen“ anzubieten, die derzeit mantraartig den Diskurs beherrschen?

Wo sind die think tanks, die – unbeeindruckt von Einzelinteressen – in Alternativen denken? Expertenrunden, die nicht das fabrizieren, was von diversen Hauptquartieren bestellt wird? Zu oft tut genau das leider auch eine parteienunterwanderte und gedemütigte Bürokratie, die viel mehr an Kompetenz und innerer Unabhängigkeit anbieten könnte, als ihr öffentlich zugetraut und abgefordert wird.

Einen „Weisenrat“ im Vorfeld des Parlaments – durchaus als permanentes Arbeitsgremium – hat Stadler vorgeschlagen. Einen Senat von freien Geistern, an denen es ja in Österreich durchaus nicht mangelt. Die aber kaum je gefragt werden – und die es längst aufgegeben haben, sich selbst zu Wort zu melden. Auch aus Furcht, parteipolitisch ausgegrenzt oder eingemeindet zu werden.

Beim gelernten Österreicher wächst mit der Freude über die Idee des „Weisenrats“ gleich auch die Sorge, selbst dieser Kreis könnte dem ehernen Farbenspiel des Proporzes nicht ganz entfliehen.

Dominanz der Parteipolitiker

Unterwegs durch Washington, habe ich vor Jahren staunend gelesen, was sich andere Demokratien zumuten: Im Lift des State Departements – der Herzkammer amerikanischer Außenpolitik – wurden die Mitarbeiter zur abendlichen Diskussionsrunde geladen. Thema: „Was wir im Nahen Osten alles falsch machen.“ Man stelle sich Ähnliches in einem heimischen Regierungsgebäude vor!

Sind am Ende unsere Medien der letzte Schauplatz politikbegleitender Nachdenklichkeit? Wenn ja: Wie kann es dann passieren, dass bei der jüngsten TV-Diskussion „Wie viel Staat braucht die Wirtschaft?“ wieder eine Phalanx von fünf geladenen Parteipolitikern über eine einsame junge Wirtschaftsexpertin dominieren durfte? Wir brauchen den „freien Flug der Geister“ – nicht als Unterwanderung demokratischer Gremien, sondern als kraftvolle Unterstützung schwierigster Entscheidungen, die auf uns zukommen.

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