"Wir lieben Amerika, aber …"

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Wenige Wochen nachdem der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin beim Forum Alpbach davor warnte, die US-Pläne für Raketenabwehranlagen in Tschechien und Polen werden "zu einem Wettrüsten führen", testete Russland vor einigen Tagen den "Vater aller Bomben", die stärkste Nicht-Atombombe der Welt. Für die Bewohner der für die US-Radaranlagen in Tschechien vorgesehenen Region hätte es dieses Tests nicht bedurft; die waren schon vorher in Angst, in einem neuen Kalten Krieg zwischen die Fronten zu kommen. Redaktion: Wolfgang Machreich Die Dörfler rund um das böhmische Gebirge Brdy sind nicht gegen Amerika und für Russland; und sie sind auch keine "Bolschewiken". Aber sie wehren sich gegen das US-Radar, weil sie genug haben vom Krieg der Großen auf dem Rücken der Kleinen.

Die Gegend ist so einsam, dass sich wildfremde Menschen grüßen: Wald links des einmal vor langer Zeit asphaltierten Weges, Wald rechts; eine Lichtung hie und da, vorher, nachher Wald, Wald, Wald. Josef Rihák, der Bürgermeister der westböhmischen Bergbaustadt Príbram, wird am nächsten Tag im Stadtamt die Naturschönheiten dieser Landschaft beschreiben und von ganz seltenen Vögeln schwärmen, die nur mehr hier zu finden sind - wenn man Glück hat.

Schwammerlsuchen verboten

Wer weniger Glück hat, ist schon froh, ein paar Schwammerlsucher zu treffen. Die dürfen zwar gar nicht in diesen Wäldern herumstreunen, denn das Gebirge Brdy, zwischen der Bierstadt Pilsen und der Hauptstadt Prag gelegen, ist seit Zeiten der ersten tschechoslowakischen Republik militärisches Sperrgebiet; doch wie der wilde Wald sind die Menschen hier ganz gerne nicht ganz angepasst.

Wo der Wald aufhört, liegt Láz. Gut 550 Einwohner hat das Dorf und 97,7 Prozent von ihnen haben Ende Juli gegen die Stationierung einer US-Radaranlage im nahen Wald gestimmt. Ein Vertreter der verschwindend kleinen Gruppe der Radar-Befürworter sitzt im Dorfwirtshaus allein an einem Tisch. Neben ihm sind zwei Tische frei - dieser Respektabstand zur Versammlung der Radar-Gegner scheint nötig. Auch ohne Tschechisch-Kenntnisse lässt sich die Diskussion leicht mitverfolgen: "Bolschewiken!" schimpft der Befürworter die Gegner; mit "Napalm" und "Vietnam" und "Irak" kontern diese. Zwischen den Schimpftiraden wird aber regelmäßig zugeprostet, Bier und Becherovka-Schnaps schmecken beiden Lagern gleich gut.

"Das ist nicht immer alles ganz ernst gemeint", erklärt Vladimir. Der Mittsechziger mit weißem Haar und grauem Schnurrbart spielte früher Schlagzeug in der Band von Karel Gott. Seinen Lebensabend verbringt er in Láz - und in der Raketenfrage hätte er "fast dafür gestimmt", denn er mag die Russen nicht; schließlich ist er doch ins Nein-Lager gewechselt: "Ich liebe die Amerikaner, aber hier eine Radarstation zu bauen, ist zu gefährlich!" Milan, ein junger Mann, keine dreißig, ebenfalls am Radargegner-Tisch sitzend, hebt während Vladimirs Ausführungen ein paar Mal mahnend den Zeigefinger: "Keine Kompromisse", sagt er, "wir sind dagegen, wir bleiben dagegen!"

Bröckelt die Abwehrfront?

Dass die Abwehrfront gegen die Radaranlagen nicht bröckelt, hofft auch Josef Rihák. Der Príbramer Bürgermeister und sozialistische Parlamentsabgeordnete ist Sprecher der Bürgermeister-Liga gegen die Radaranlagen. 31 Bürgermeister aus der Region gehören zur Liga und sagen Nein zum Radar - aber wie lange noch? "Zeigen Sie mir einen Bürgermeister, der Geld für seine Gemeinde ablehnt!" sagt Rihák und spielt damit auf die von der Prager Regierung beschlossenen Investitionen für die strukturschwachen Dörfer rund um das Militärsperrgebiet Brdy an.

"Kleiner Marshall-Plan" nennen tschechische Zeitungen die versprochenen Förderungen zum Ausbau von Straßen und Kanalisation und dem Bau und der Renovierung von Schulen. Den Vorwurf, die Regierung wolle mit diesem Geld die widerspenstigen Gemeinden "kaufen", weist Prag vehement von sich: "Der Strukturplan wird realisiert, egal ob es das Radar dort einmal gibt oder nicht", erklärte Ministerpräsident Mirek Topolanek. Bürgermeister-Liga-Chef Rihák muss lachen: "Unsere Region braucht doch nicht erst seit heute Hilfe. Wir sind hier nur eine Autostunde von Prag entfernt - warum hat sich bisher niemand um unsere Straßen und Schulen gekümmert?"

Im Süden von Príbram liegt der bekannte Wahlfahrtsort "Svatá Hora", Heiliger Berg. In den rund um die imposante Basilika angelegten Arkaden berichten Deckengemälde von unzähligen Wundern der hier verehrten Gottesmutter: Eine Holzfuhr droht einen Arbeiter zu erschlagen, doch Maria schickt goldene Strahlen vom Himmel, die das Unglück abwenden; ein Kind fällt in eine Schlucht, die himmlischen Strahlen lassen es unverletzt bleiben; ein Blitz droht eine Familie auf dem Feld zu treffen, doch die Heilige leitet mit ihrem guten Strahl die böse Energie um …

Wenn auf Svatá Hora noch eine Wand frei wäre, würden die Menschen heute ein Bild malen lassen, auf dem die Strahlen aus dem Himmel die Radaranlage abwehren? Jitka Rihova, der jungen Bürgermeisterin von Láz, gefällt die Idee: "Warum nicht", sagt sie, "die Leute hier haben wirklich Angst vor dieser Anlage, da kann Hilfe von oben nicht schaden!" Aber wovor fürchtet man sich rund um Brdy am meisten? In Zeitungsberichten steht, vor den gesundheitsschädlichen Radarstrahlen und davor, dass Fernseher und Handy nicht mehr funktionieren. Rihova schüttelt den Kopf: "Nein, so gesundheitsbewusst sind hier nicht alle!" sagt sie und zieht an ihrer Zigarette. "Am meisten Angst", fährt die Bürgermeisterin fort, "haben wir vor einem neuen Kalten Krieg und dass wir wieder dazwischen stehen und dass wieder fremde Soldaten in unserem Land sind."

Vom "neuen Kalten Krieg" reden viele hier. Bis 1991 waren in Brdy sowjetische Truppen stationiert. Böse Erinnerungen an die Zeit sind geblieben, Soldaten von anderswo will niemand mehr - "auf die paar Kronen, die die hier ausgeben, pfeifen wir", sagt Milan im Wirtshaus in Láz. Außerdem kursieren Gerüchte, die Russen hätten bei ihrem Abzug noch etwas in den Bunkern und Silos zurückgelassen. Ein hoher Militär soll sich einmal verplappert und gesagt haben: "Wenn ihr wüsstet was in Brdy ist, würdet ihr sehr überrascht sein." Es sind bloß Gerüchte, die in den Dörfern die Runde machen, es gibt keine Beweise; aber die Leute erzählen gerne von diesem angeblichen Geheimnis im Wald - und sie fürchten sich, dass es wahr sein könnte.

Das Gespräch mit Frau Rihova findet in einem Restaurant in Príbram statt. Im Radio spielt es das dieser Tage auch in Österreich rauf und runter gespielte Anti-Bush-Lied Dear Mr. President: "Wie können Sie schlafen, während der Rest von uns weint?" fragt in diesem Song Sängerin Pink den amerikanischen Präsidenten: "Wie können Sie träumen, solange Mütter sich nicht von ihren gefallenen Söhnen verabschieden können?" Die Bürgermeisterin hört begeistert zu: "Pink hat Recht, Bush ist ein Lügner!" Als noch jüngere Frau als heute hat sie die USA bereist, von Küste zu Küste; ihr gefällt der amerikanische Lebensstil, die Sprache, "wie die Amerikaner zupacken, ihr Optimismus, ihr Mut", schwärmt sie. Doch dann kommt das große "Aber", das alle Radargegner anfügen: "Aber keine US-Radarstation, bitte!"

Doch warum steht die Regierung in Prag so hinter dem Projekt, dass sie den Unmut einer Mehrheit der Tschechen auf sich nimmt? Rihák: "Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht." Und wenn er und die anderen Bürgermeister fragen, "dann stellt der Regierungssprecher uns als Idioten vom Land hin", beklagt Rihák.

Die Interviewanfrage der Furche an besagten Regierungssprecher und die mit der Bewerbung des Radars beauftragte PR-Agentur blieb unbeantwortet. Dabei wäre es in dem Gespräch nicht um die angeblichen Ungereimtheiten bei der Bestellung dieser Agentur gegangen, sondern einzig und allein um die Frage: Warum ein US-Radar in Brdy? Premier Topolanek hat darauf einmal geantwortet: "Die Radaranlage ist ein kleiner Test des Willens der Europäer, Freiheit und Frieden zu verteidigen." Die meisten Menschen rund um Brdy widersprechen: Sie sehen vielmehr im Kampf gegen die Radaranlagen ihren großen Test, Freiheit und Frieden für sich und Europa zu bewahren. Hora", Heiliger Berg. In den rund um die imposante Basilika angelegten Arkaden berichten Deckengemälde von unzähligen Wundern der hier verehrten Gottesmutter: Eine Holzfuhr droht einen Arbeiter zu erschlagen, doch Maria schickt goldene Strahlen vom Himmel, die das Unglück abwenden; ein Kind fällt in eine Schlucht, die himmlischen Strahlen lassen es unverletzt bleiben; ein Blitz droht eine Familie auf dem Feld zu treffen, doch die Heilige leitet mit ihrem guten Strahl die böse Energie um …

Wenn auf Svatá Hora noch eine Wand frei wäre, würden die Menschen heute ein Bild malen lassen, auf dem die Strahlen aus dem Himmel die Radaranlage abwehren? Jitka Rihova, der jungen Bürgermeisterin von Láz, gefällt die Idee: "Warum nicht", sagt sie, "die Leute hier haben wirklich Angst vor dieser Anlage, da kann Hilfe von oben nicht schaden!" Aber wovor fürchtet man sich rund um Brdy am meisten? In Zeitungsberichten steht, vor den gesundheitsschädlichen Radarstrahlen und davor, dass Fernseher und Handy nicht mehr funktionieren. Rihova schüttelt den Kopf: "Nein, so gesundheitsbewusst sind hier nicht alle!" sagt sie und zieht an ihrer Zigarette. "Am meisten Angst", fährt die Bürgermeisterin fort, "haben wir vor einem neuen Kalten Krieg und dass wir wieder dazwischen stehen und dass wieder fremde Soldaten in unserem Land sind."

Vom "neuen Kalten Krieg" reden viele hier. Bis 1991 waren in Brdy sowjetische Truppen stationiert. Böse Erinnerungen an die Zeit sind geblieben, Soldaten von anderswo will niemand mehr - "auf die paar Kronen, die die hier ausgeben, pfeifen wir", sagt Milan im Wirtshaus in Láz. Außerdem kursieren Gerüchte, die Russen hätten bei ihrem Abzug noch etwas in den Bunkern und Silos zurückgelassen. Ein hoher Militär soll sich einmal verplappert und gesagt haben: "Wenn ihr wüsstet was in Brdy ist, würdet ihr sehr überrascht sein." Es sind bloß Gerüchte, die in den Dörfern die Runde machen, es gibt keine Beweise; aber die Leute erzählen gerne von diesem angeblichen Geheimnis im Wald - und sie fürchten sich, dass es wahr sein könnte.

Das Gespräch mit Frau Rihova findet in einem Restaurant in Príbram statt. Im Radio spielt es das dieser Tage auch in Österreich rauf und runter gespielte Anti-Bush-Lied Dear Mr. President: "Wie können Sie schlafen, während der Rest von uns weint?" fragt in diesem Song Sängerin Pink den amerikanischen Präsidenten: "Wie können Sie träumen, solange Mütter sich nicht von ihren gefallenen Söhnen verabschieden können?" Die Bürgermeisterin hört begeistert zu: "Pink hat Recht, Bush ist ein Lügner!" Als noch jüngere Frau als heute hat sie die USA bereist, von Küste zu Küste; ihr gefällt der amerikanische Lebensstil, die Sprache, "wie die Amerikaner zupacken, ihr Optimismus, ihr Mut", schwärmt sie. Doch dann kommt das große "Aber", das alle Radargegner anfügen: "Aber keine US-Radarstation, bitte!"

Doch warum steht die Regierung in Prag so hinter dem Projekt, dass sie den Unmut einer Mehrheit der Tschechen auf sich nimmt? Rihák: "Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht." Und wenn er und die anderen Bürgermeister fragen, "dann stellt der Regierungssprecher uns als Idioten vom Land hin", beklagt Rihák.

Die Interviewanfrage der Furche an besagten Regierungssprecher und die mit der Bewerbung des Radars beauftragte PR-Agentur blieb unbeantwortet. Dabei wäre es in dem Gespräch nicht um die angeblichen Ungereimtheiten bei der Bestellung dieser Agentur gegangen, sondern einzig und allein um die Frage: Warum ein US-Radar in Brdy? Premier Topolanek hat darauf einmal geantwortet: "Die Radaranlage ist ein kleiner Test des Willens der Europäer, Freiheit und Frieden zu verteidigen." Die meisten Menschen rund um Brdy widersprechen: Sie sehen vielmehr im Kampf gegen die Radaranlagen ihren großen Test, Freiheit und Frieden für sich und Europa zu bewahren.

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