Das Leben kennt schlimmere Nöte

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Melancholische Lebensfreude und anarchisch konservative Lebenskunst: Die Wiederentdeckung eines amerikanischen Klassikers.

Auf dem Buchmarkt häufen sich in jüngster Zeit Übersetzungen angeblich zu Unrecht vergessener und zur (Wieder-)Entdeckung wärmstens empfohlener amerikanischer Klassiker. Das muss man nun nicht alles glauben, aber John Cheevers vor fünfzig Jahren erschienene Geschichte der Wapshots (The Wapshot Chronicle) ist tatsächlich ein großartiges Buch und den meisten der dickleibigen US-Romane der jüngeren Zeit zweifellos vorzuziehen.

Bevor John Cheever (1912-1982) mit seinem großen Roman den National Book Award errang, hatte er sich längst mit seinen Shortstorys einen Namen gemacht - für sie bekam er später den Pulitzerpreis. Das Schöne, das Aufregende an der Familiensaga aus Massachusetts ist wohl, dass sie so gar nicht dem entspricht, was in Creative-Writing-Kursen als Modell eines Romans gelehrt wird: Die Geschichte der Wapshots lebt gerade durch ihre blinden Motive, ihre abtauchenden Nebenfiguren, ihre Abschweifungen und Exkurse, kurzum: ihre gepflegte Verworrenheit.

Gepflegte Verworrenheit

Dabei sind die einzelnen Familienmitglieder und ausgewählte Mitbürger des fiktiven Flußstädtchens St. Botolphs durchaus markant gezeichnet, am eindrücklichsten wohl Leander Wapshot, der als Kapitän eines Ausflugsschiffes eine ihn ausfüllende Beschäftigung gefunden hat; die S.S. Topaze "schien seine Vorliebe für romantischen Unsinn, für die Mädchen am Strand und die langen, mit Albernheiten verbrachten, nach Salzwasser riechenden Sommertage widerzuspiegeln". Leander ist Schiffer von Tante Honoras Gnaden: Sie ist die, die das Geld und damit auch die familiären Fäden in der Hand hat. In ihrem Testament vermacht sie Leanders Söhnen Moses und Coverly ihr Vermögen unter der Bedingung, dass sie beide männliche Erben in die Welt setzen. Dass ihr auch die S.S. Topaze gehört, wird später noch eine fatale Rolle spielen.

John Cheever erzählt Komisches und Ernstes, Skurriles und Rührendes, aber auch Tragisches, und er hält alles in einer eigentümlichen Schwebe. Er erzählt, wie der junge Leander für seinen Boss eine abgelegte Liebe heiraten musste, die er lieb gewann und die sich das Leben nahm. Wie der Vater seine beiden Söhne durch das amerikanische Initiationsritual des gemeinsamen Angelns in der Wildnis steuert und nur Moses, der ältere, die Prüfung besteht. Wie Coverly, der sich in der weiten Welt bewähren soll, in New York beim psychologischen Test für einen Job, den er quasi schon in der Tasche hat, mit herzlicher Offenheit von seinen Ängsten und sexuellen Träumen berichtet und sich um Kopf und Kragen redet. Cheever erzählt von der undurchsichtigen Sarah, die, sonst durchaus dem klassischen Bild der guten Gattin entsprechend, ihrem Mann Leander mit ihrem Plan, aus der Topaze "den ersten schwimmenden Souvenirladen Neuenglands" zu machen, in den Rücken fällt.

Als Coverly von einem schwulen Verehrer verwirrt und vom Weg zur (vermögenssichernden) Vaterschaft abgelenkt wird, schreibt sein Vater ihm ein langen Brief: "Kopf hoch! Verfasser kein Unschuldengel, hat er auch nie behauptet. Habe für manche Schülerbraut den Mann gespielt." Es folgen Details und der Schluss: "Gemächt schien Sitz gemischter Gefühle zu sein. Warf die Frage auf: War Schreiber ein Päderast?" Nein, es haben ihm nur die "Kobolde der Liebe" einen Streich gespielt: "Das Leben kennt schlimmere Nöte. Sinkende Schiffe. Vom Blitz getroffene Häuser." Homosexualität so zur Sprache zu bringen, war 1957 noch skandalös, und ist es, betrachtet man die aktuelle US-Politik, in republikanischen Kreisen wohl noch heute.

Mit seiner melancholischen Freude am Leben, seiner hemdsärmeligen Innigkeit und seiner körperlichen Lust an der Natur (etwa am Schwimmen) erinnert Leander Wapshot ein wenig an den Alexis Sorbas des Nikos Kazantzakis. Der Kapitän steht allerdings für eine amerikanische oder eher: neuenglische Variante anarchisch-konservativer Lebenskunst. Nicht zuletzt sein Tagebuch, das man als autonomes Element des Romans genießen kann, führt den Stilkünstler Cheever vor, der für seine sympathisch schrulligen Gestalten genau die richtige sinnliche, vertrackte, immer überraschend farbenprächtige Sprache gefunden hat. Und glücklicherweise auch einen deutschen Übersetzer - Thomas Gunkel -, der ihr gewachsen ist.

Sympathische Käuze

Als Leander stirbt, besteht just die herrische Honora, die ihm zuletzt mit ihren Launen das Leben schwer gemacht hat, darauf, dass an seinem Grab, gemäß seinem Letzten Willen, Shakespeare gelesen wird, Prosperos Rede aus dem Sturm: "Das Fest ist jetzt zu Ende (…) Wir sind solcher Zeug wie der zu Träumen, und dies kleine Leben umfasst ein Schlaf." In der Shakespeare-Ausgabe finden die Söhne, die nach Hause gekommen sind, um ihrem Vater ein Schiff zu schenken, sein Vermächtnis an sie: "Wenn vorhanden, frischen Fisch zum Frühstück essen. Nicht in ungeheizten Steinkirchen niederknien. Feuchtigkeit in Kirchen sorgt für vorzeitiges Ergrauen. (…) Haltet euch gerade. Bewundert die Welt. Genießt die Liebe einer sanftmütigen Frau. Vertraut auf Gott." Wie gesagt: ein großartiges Buch.

Die Geschichte der Wapshots

Roman von John Cheever Mit einem Nachwort von Rick Moody Dt. von Thomas Gunkel

DuMont Verlag, Köln 2007

384 Seiten, geb., € 20,50

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