Der Kunde ist König, auch der Bedürftige

19451960198020002020

Caritas&Markt heißt ein neuer Laden in Graz. Dort gibt es ganz billig alles, was die Konsumbranche verschmäht, obwohl es noch verwendbar wäre.

19451960198020002020

Caritas&Markt heißt ein neuer Laden in Graz. Dort gibt es ganz billig alles, was die Konsumbranche verschmäht, obwohl es noch verwendbar wäre.

Werbung
Werbung
Werbung

Dass sich das Angebot am Kunden zu orientieren hat, ist kommerziellen Unternehmen seit langem klar. Im Wohlfahrtssektor dagegen ist dieser Gedanke noch neu: Bedürftigen wird angeboten, was, wie die Helfenden glauben, für sie gut ist. Arme sind oft nicht nur finanziell schwach, sondern auch in ihren Möglichkeiten, selbstbestimmt zu agieren, eingeschränkt. Das neue Projekt der Caritas der Diözese Graz-Seckau "Caritas&Markt" beschreitet einen anderen Weg, wenn es darum geht, überschüssige Lebensmittel Bedürftigen zugute kommen zu lassen. Wie in einem ganz gewöhnlichen Geschäft entscheiden die Käufer - im Falle von "Caritas&Markt" mittellose Menschen - wieviel sie wovon haben möchten. Die Preise sind symbolisch.

Wie ein Feinkostladen präsentiert sich "Caritas&Markt" den Besuchern des Sozialzentrums der Caritas in Graz. Ein kleiner aber feiner Verkaufsraum mit einer ausgesprochen persönlichen Bedienung: Auf 18 Quadratmetern bietet die Caritas all das, was die Lebensmittelindustrie nicht mehr brauchen kann, obwohl es durchaus genießbar ist: Liquidationsposten, falsch verpackte Ware und Produkte, die knapp vor dem Ablaufdatum stehen. Prinzipiell führt der Laden alles, was sonst so in Supermärkten zu finden ist - auch Textilien und Drogerieartikel. Nur auf Alkoholika wird verzichtet. In der Praxis ist das Sortiment aber wesentlich kleiner, ist man doch auf das Mitwirken der Lebensmittelhändler und -produzenten angewiesen. Die Produkte sind zwar um 70 bis 80 Prozent billiger als in herkömmlichen Geschäften, auf Qualität wird aber trotzdem geachtet: Im Laden der Caritas sind unter anderem Teigwaren mit Tintenfisch, eingelegte Artischocken oder feine Kräuter für ausgefallene Gerichte zu finden.

Die Reaktionen der Wirtschaft, sich auf Anregung der Caritas am Projekt zu beteiligen, sind größtenteils positiv. Viele Unternehmen haben ihre Kooperationsbereitschaft zugesagt, kommt es doch in jedem Betrieb früher oder später einmal vor, dass in der Produktion, beim Transport oder bei der Lagerung etwas schief läuft. Dann ist man sogar froh, wenn eine sinnvolle Verwendung der Lebensmittel möglich ist. Wenige Geschäftspartner sind aber bereit, in der Öffentlichkeit an der Seite der Caritas zu stehen. "Die Konzernleitung befürchtet Nachteile für die Marke", erklärt der Vertriebsverantwortliche einer führenden Handelskette die Zurückhaltung seines Unternehmens, sich explizit bei "Caritas&Markt" zu engagieren.

Ganz anders ist die Auffassung bei der Stainzer Molkerei. Otto Leitgeb, der Geschäftsführer, ist zuversichtlich, dass die Kunden die Entscheidung des Unternehmens, Molkereiprodukte zur Verfügung zu stellen, verstehen und schätzen werden. "Es geht uns nicht darum, wie in einem Diskonter unsere Ware billigst abzugeben, sondern die Caritas ein wenig zu unterstützen", meint Leitgeb und fügt hinzu: "Natürlich kann man ein solches Projekt nicht endlos wiederholen. Die Caritas war die erste Organisation, die uns angesprochen hat, und wir haben gerne zugesagt."

Schweizer Vorbild Es ist kein Zufall, dass sich die Caritas im Lebensmittelsektor engagiert, gehört doch die Verwertung von Esswaren zu ihren ältesten Tätigkeiten. Die Caritas hat erstmals in der Nachkriegszeit begonnen Lebensmittel zu verteilen, um der Hungersnot der Bevölkerung entgegenzuwirken. Heute ist die Situation in Österreich völlig anders: Das Angebot an Lebensmitteln ist zwar mehr als ausreichend, so dass die Ware regelmäßig keine Abnehmer findet und vernichtet werden muss. Zugleich aber ist die Kaufkraft finanziell Schwacher so beschränkt, dass sie kaum eine Möglichkeit haben, qualitative Lebensmittel zu konsumieren. Diese Menschen benötigen vielfältige Hilfe, um mit den knappen Mitteln einigermaßen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können - auch Nahrung zu erschwinglichen Preisen.

Die Idee, überschüssige Lebensmittel zugunsten finanziell Benachteiligter zu verwerten, ist nicht neu. In der Schweiz gibt es seit Anfang der neunziger Jahre solche Projekte: In Basel, Luzern und St. Gallen wurden die ersten Laden der Caritas eröffnet, in denen Ware bis zu 50 Prozent billiger angeboten wurde. In Deutschland dagegen ist die katholische Wohlfahrtsorganisation seit 1997 in diesem Bereich aktiv. Ausschlaggebend für den Aufbau sogenannter "Carisatt"-Geschäfte waren die Erfahrungen und Erkenntnisse der bundesweiten Armutskonferenz des Deutschen Caritasverbandes im Jahr 1991. Bei diesem Anlass wurde klar, dass "Armut kein gelegentliches, individuell begründetes Phänomen ist, sondern strukturell bedingt und systematisch erzeugt wird" und sich die Caritas verstärkt auch um preisgünstige Lebensmittel bemühen muss. Durch die Arbeit des Vereins "SOMA", der seit September 1999 in Linz erfolgreich einen Sozialmarkt führt, ist das Thema auch in Österreich aktuell geworden.

Große Hemmschwelle "Caritas&Markt" orientiert sich weitgehend an diesen Vorbildern, was das Grundkonzept betrifft, mit der Lebensmittelindustrie in Kooperation zu treten und die Verteilung der erhaltenen Ware wie in einem gewöhnlichen Geschäft abzuwickeln. Bei dem Eingrenzen des Kundenkreises geht man neue Wege: Nachdem sich der Laden im Sozialzentrum der Caritas befindet, wird davon ausgegangen, dass die Hemmschwelle, diesen Ort aufzusuchen groß ist und nur Bedürftige hier einkaufen werden. Im Gegensatz zu vergleichbaren Projekten wird also bei "Caritas&Markt" auf die Ausstellung von Ausweisen, um die Notlage der Kunden zu bestätigen, verzichtet.

Der Kunde soll ja schließlich König sein - auch der Bedürftige.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung