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Draußen vor der Tür…

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In der Region Thies, im Senegal, wachsen jetzt, wo einst Saheldürre war und mit Mitteln der österreichischen Caritas das Wasser aus der Tiefe heraufgeholt wurde, Zuckermelonen, die ihrer Qualität wegen bis auf den Pariser Markt kommen, Melanzani sowie andere Früchte und Gemüse. In Malawadi, Indien, beginnt eine ökumenische Spezialistengruppe, .die den ungünstigen klimatischen Verhältnissen entgegenarbeitet, ein Wasserversorgungsexperiment, das denselben Erfolg haben wird. In Haiti herrscht seit Jahren Dürre, und man hofft auf den Oktober 1977. Dann wäre Saatzeit, wenn ein barmherziger Regen es zuläßt. Also ist jetzt noch immer Hilfe erforderlich. Kinder- ausspeisung etwa. Für eine halbe Million Afrikaflüchtlinge im kleinen krisengeschüttelten Portugal ist jetzt so etwas wie das Jahr 1945 gekommen. Den Opfern der „Weltpolitik” teilt die Caritas täglich 150.000 Frühstücks- und 270.000 Mittagsund Abendportionen aus. Man bedenke, was das heißt und was das kostet. Im Libanon gibt es 30.000 Waisen und Halbwaisen. Von den 1,3 Millionen, die im bürgerkriegsverwüsteten Kleinstaat durch den Verlust von Wohnung, Arbeit, Geschäftsladen, einem Angehörigen, Hand oder Fuß oder der Gesundheit irgendwie bedürftig oder geschädigt wurden, betreut die Caritas 400.000 Menschen. Und im rumänischen Donaustädtchen Zimnicea bauen sie jetzt ein neues Ambulatorium, weil das alte das .Erdbeben zerstört hat. Auf Kosten der Caritas Österreichs.

Ein Preislied auf die Caritas? Nein. Nur einige Hinweise aus aktuellem Anlaß. Caritas und Katholische Männerbewegung sammeln dafür, daß es mit den Melanzani im Senegal, den Frühstücken in Portugal, den Kinderausspeisungen in Haiti, dem Wassersuchen in Malawadi und im Libanon und in Zimnicea weitergehen kann. In der Woche vom 7. bis 14. August sollen Millionen aufgebracht werden. Der ORF, die Zeitungen, die Plakataffi- chierer helfen mit. Dann liegt es an den Menschen, daß sie sich die oft gehörte Caritas-Kontonummer 7,700.004 merken und zu den Post- schaltem gehen. Oder bei den Kirchensammlungen am 14. August Herz und Börse öffnen. Sie verschlossen zu halten und dann in der Messe „Gib uns heute unser tägliches Brot” beten, wäre ein schrecklicher Widerspruch.

Aber an diesen schrecklichen Widersprüchen krankt unsere Welt. Die ganze Geschichte hindurch fährt das Evangelium Christi wie ein Sturmwind, um den Menschen aufzuwirbeln, von der Erde zu lösen, aber er duckt sich gern tief, damit ihn ja nichts bewegt. Man sagt gern, weil die Kirche in der Welt der Arbeit Schiffbruch erlitten habe, und das auch nur wieder, weil die Mächtigen vorher sich sehr tief in den Sand einwühlten, um ja nicht bewegt zu werden, hätten sich dann die Klassenkämpfer zusammengefunden, um endlich die Welt neu zu machen.

Sie haben ihre Verdienste, das darf niemand leugnen, ebensowenig man die der Kirche leugnen soll. Aber auch da bleibt eine ganz schreckliche Tatsache, der Widerspruch, daß hierzulande sofort einer zum Scheiterhaufen gewiesen wird, der aus wirtschaftlicher Vernunft das Wort Lohnstopp in den Mund nimmt, während es in der Welt etwa 560 Millionen Menschen gibt, von denen jeder täglich nicht mehr Einkommen hat, als zweieinhalb Schilling. Macht 900 Schilling pro Jahr. Und während es bei unseren großen Lohnverhandlungen schon so gesittet zugeht - Gott sei Dank - wie in einem Büchel über katholische Soziallehrebeschrieben, schguen, freilich unsichtbar, zum Fenster die 560 Millionen Menschenbrüder herein, deren Zahl sich etwa mit jener der Unterernährten in der Welt deckt, von denen jährlich 40 Millionen an Hungerfolgen krepieren. Derweilen unsere Supermärkte von Waren überfließen. Derweilen wir kaufen und genießen, fordern, fressen und saufen, prassen. Man muß es so hart sagen, weil es stimmt. Was für Widersprüche/

Solange sie nicht aufgehoben sind, muß man der Caritas zubilligen, daß sie bettelt. Und unter denen, die geben, fehlen die ganz Reichen, weiße Raben ausgenommen, wie es auch nur selten vorkommt, daß sich Betriebsbelegschaften zw sammentun, um selbst Caritassammlungen abzuhalten. Für das wirkliche Proletariat-draußen vor der Tür…

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