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Was die einen nicht mehr brauchen, ist für die anderen eine wertvolle Hilfe im Kampf um finanzielles Auskommen. Geschäfte wie der Sozialmarkt St. Pölten führen beide zusammen.

Walter Mück schämt sich nicht. Es könnten ruhig alle wissen, sagt er, er habe nichts zu verbergen. Auch nicht, dass er zu wenig Geld hat, um sich die nötigsten Dinge bei Billa oder Spar zu kaufen. Der 54-Jährige ist Kunde im "Sozialmarkt", kurz Soma, mitten in der St. Pöltner Innenstadt. Seit ein paar Jahren ist der Niederösterreicher mit Staplerschein und Berufserfahrung als Lagerist ohne Job. Jetzt legt er all seine Hoffnungen in den Computerkurs, den ihm das Arbeitsmarktservice derzeit gerade finanziert. "Danach wird es schon wieder werden", sagt er und versucht zuversichtlich zu wirken.

"Wird schon wieder werden." - Walter Mück hat also die Hoffnung noch nicht aufgegeben, bald nicht mehr zu den Soma-Kunden zählen zu müssen. Wer hier einkauft, hat wenig Geld. Höchstens 699 Euro im Monat, für einen Zwei-Personen-Haushalt dürfen es 1.087 Euro sein, pro Kind dann noch ein bisschen mehr. Um Kunde zu werden, muss man sein geringes Einkommen nachweisen und bekommt dann einen Ausweis, der zum Einkaufen in dem kleinen Geschäft berechtigt.

Den Soma gibt es seit November, 75 Kunden sind bis jetzt registriert. Geschäftsführer Walter Feninger hält 600 bis 1.000 Kunden für realistisch. Sie sollen sich hier zu möglichst geringen Preisen mit den Waren des täglichen Bedarfs eindecken können. Verkauft wird, was andere Firmen dem Geschäft schenken. Da gibt es zum Beispiel 30 Paletten Mineralwasser, weil das Lager des Herstellers geräumt werden muss. Oder ein paar hundert Packungen Zitronenschnitten, die regulär nur im Sommer verkauft werden, aber nicht mehr lange genug haltbar sind, um sie kommendes Jahr nochmal in die Regale zu stellen. Manchmal wird Ware geliefert, deren Verpackung fehlerhaft ist - für den normalen Handel ist sie dadurch unbrauchbar, aber für den Soma und seine Kunden kommt es auf kleine Schönheitsfehler nicht an. Und manchmal schenken Firmen auch einfach etwas her, weil sie etwas Gutes tun wollen. So haben zwei Möbelketten einen großen Teil der Einrichtung des Sozialmarktes zur Verfügung gestellt.

Lücken im Sortiment

Walter Mück schiebt seinen Einkaufswagen durch die Regale, nimmt hier drei Gläser Sugo, dort fünf Flaschen Saft. Eine Packung Nudeln und ein Sack Kartoffeln wandern noch in den Wagen, dann hat er für heute alles. Milch gibt es keine. "Aber das macht eigentlich nichts, ich trinke meinen Kaffee ohnehin schwarz."

Geschäftsführer Feninger wäre es lieber, er hätte auch Milch im Sortiment. Leider funktioniert aber das Geschäft noch nicht ganz so, wie er es sich wünscht. Denn obwohl die Hilfsbereitschaft vieler Firmen enorm sei, "können wir viele Bereiche noch nicht abdecken." Die Herstellung von Milchprodukten etwa werde so knapp kalkuliert, dass für Einrichtungen wie den Sozialmarkt meistens nichts übrig bleibe. "Daher versuchen wir in diesem Bereich mit Sponsoren zu arbeiten." Einen hat er schon gefunden, der zweimal dreißig Liter Milch bezahlen wird. Aber auch frisches Obst und Gemüse gibt es kaum. Und das, obwohl in einer mittelgroßen Lebensmitteldiskont-Filiale täglich rund 45 Kilo davon weggeworfen werden. "Wir sind mit einigen Unternehmen diesbezüglich in Kontakt", sagt Feninger vage. Insgesamt 20 Lieferanten hat er bisher schon gefunden, 50 bis 70 werde er brauchen, um das Ziel zu erreichen, schätzt er: Der Soma soll sämtliche Waren des täglichen Lebens verlässlich anbieten können.

Großer Wert, kleiner Preis

Und zwar zu einem Drittel der Preise, die der normale Lebensmittelhandel dafür verlangt. "Die meisten Lebensmittel kosten hier zwischen zehn und 40 Cent, Kleidung zwischen fünf und acht Euro", erklärt Feninger. Mehr als zehn Euro darf nichts kosten, wegen des Einkaufslimits. Nicht einmal die Schreibtische, die hier schon verkauft wurden oder die Kommoden, die es ebenfalls schon gab. Selbst ein paar CDs finden sich hier, vor allem für Kinder, aber auch klassische Musik und Pop. Und unter den Videos für einen Euro fünfzig findet sich ebenfalls das eine oder andere Schnäppchen.

Manche Produkte bietet der Soma sogar gratis an, zum Beispiel Waren, deren offizielles Haltbarkeitsdatum bereits abgelaufen ist, die aber in Ordnung sind. Und Brot. Täglich holen ehrenamtliche Mitarbeiter von einer großen Bäckerei eine ganze Kiste vom Vortag ab. Viele Kunden warten sehnsüchtig auf die Brotlieferung.

Walter Mück nimmt sich heute auch einen Laib mit. "Aber nur einen kleinen, für mich allein brauche ich ja nicht so viel", sagt er zur ehemals langzeitarbeitslosen Verkäuferin, deren Gehalt zwei Jahre lang vom Arbeitsmarktservice bezahlt wird, so wie das der drei Kolleginnen und Kollegen, die sich vom Soma ebenfalls eine dauerhafte Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erhoffen.

2,80 Euro zahlt Mück heute für seinen Einkauf. Insgesamt darf er dreimal in der Woche für jeweils zehn Euro einkaufen. "Aber so viel brauche ich nie, ich komme zweimal in der Woche, und da genügen mir insgesamt zehn Euro", erzählt er. Seit er hier so günstig einkaufen kann, bleibt von den 540 Euro, die er im Monat zur Verfügung hat, manchmal sogar noch etwas übrig.

So offen wie Mück reden nicht viele Kunden über ihre finanzielle Situation. "Manche schämen sich, dass sie hier einkaufen müssen", erzählt Walter Feninger. Ein paar gäbe es, die dagegen mit mehr Selbstbewusstsein und mit der festen Überzeugung herkämen, dass es ihre gutes Recht sei, zu so geringen Preisen einzukaufen. Das seien auch die, die sich manchmal über das zu kleine Warenangebot beschweren. Mück gehört nicht zu ihnen. Einen Vorschlag hat er zwar: "Ein paar Gulaschdosen manchmal wären eine feine Sache." Aber eilig fügt er hinzu, es gehe auch ohne, denn "eigentlich ist das Angebot hier doch bestens".

Er ist also zufrieden, wie die meisten. Viele hätten schon lange auf einen solchen Markt gewartet, erzählt Feninger. 1999 eröffnete der erste Sozialmarkt in Linz, es folgten Wels, Steyr, Salzburg und Klagenfurt. In Graz beispielsweise firmiert das Projekt unter dem Namen "Vinzimarkt". Für Wien war ein ähnliches Projekt geplant, wurde von der Stadt Wien aber abgelehnt. Von Handel und Lebensmittelerzeugern zur Verfügung gestellte Lebensmittel sollen hier jedoch künftig von Sozialorganisationen direkt an Bedürftige verteilt werden.

Keine Gewinnabsicht

Der St. Pöltner Soma wird von der Emmausgemeinschaft organisiert, einer gemeinnützigen Organisation, die sich um die Integration sozial benachteiligter Personen bemüht. Geld steuern das Land Niederösterreich, das Arbeitsmarktservice und der Europäische Sozialfonds bei. Finanzielles Ziel sei es, erklärt Feninger, kostendeckend zu arbeiten, also Miete und Betriebskosten von den Einnahmen zahlen zu können. Derzeit sei dieses Ziel noch nicht erreicht, aber "ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen werden".

Sein positiver Blick in die Zukunft eint den Geschäftsführer mit einem seiner Kunden: Walter Mück hat inzwischen alles in seiner Einkaufstasche verstaut. "Bis bald", verabschiedet sich die Verkäuferin. Mück hat es inzwischen eilig, in einer dreiviertel Stunde beginnt sein Computerkurs. In ein paar Tagen wird er wiederkommen und für ein paar Euro Sugo, Nudeln und Saft kaufen. "Wenn der Kurs erst einmal vorbei ist", sagt er noch schnell, bevor die Tür hinter ihm zufällt, "wird es nicht mehr lange dauern, und ich komme nicht mehr her. Ich finde schon wieder einen Job - ganz sicher."

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