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„Droben ist nichts billiger

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Es hat seit Jahrzehnten zu den Gepflogenheiten der Vorarlberger Bevölkerung gehört, soweit sie innerhalb des Grenzgebietes wohnhaft war (dies sogar noch bis einschließlich Bludenz), ihren Bedarf an Lebensmitteln und auch einen Teil an. sonstigen Gebrauchsgütern in der benachbarten Schweiz und in Liechtenstein zu decken (im deutschen Lindau nur hinsichtlich benötigter Medikamente, der bis heute viel billigeren Spirituosen, Fischkonserven wie auch anderen Konserven und der in Deutschland vielfach auch qualitativ besseren Wurstwaren). Verständlicherweise waren es vor allem die Grenzgänger — 6000 nach der Schweiz, 1800 nach Liechtenstein —, die „drüben“ oder — Liechtenstein — „droben“ oder „oben“ einkauften. Seit 20 Jahren war der Frankenkurs konstant mit 6 Schilling und problemlos wurde auf dieser Basis in jedem Geschäft umgerechnet. Nur die „Migros“-Supermarkte lehnten diese Kursparität ab und rechneten 100 Schilling nur mit 15 Franken um, was ihnen einen etwa 8prozentigen zusätzlichen Um-wechslungsgewinn einbrachte, wenn man von der Mühe der Umwechs-lung auf der Bank oder, noch viel kursgünstiger, bei dem SBB-Geld-wechselschalter in Buchs absieht.

Die Vorarlberger Handelskammer hat immer wieder ausgerechnet, wieviel Vorarlberger Kaufkraft sich in der Schweiz niederschlug, und man kam auf viele Millionen Schilling monatlich, die dem Vorarlberger Einzelhandel verlorengingen. Nach einer Schätzung des „Migros“-Direk-tors in Buchs setzten Vorarlberger Käufer allein in dieser, freilich vorbildlich organisierten „Migros“-Filiale an Samstagen etwa 75.000 Franken, an den übrigen Wochentagen, mit Ausnahme des unergiebigen Montag, aber 25.000 bis 40.000 Franken um. Der Anteil der Vorarlberger Käufer am Käuferpublikum von St. Margrethen bis Sargans wurde in den Jahren 1970 bis 1973/74 auf ein gutes Drittel geschätzt. Bei den Grenzgängern war diese Käufergewohnheit verständlich; sie waren ohnehin „drüben“ bzw. „droben“. Daß aber viele eigens mit dem Auto dorthin fuhren, machte solche Einkäufe nur dann noch rentabel, wenn die ganze Familie mitfuhr und also die Freigrenzen des Kleinen Grenzverkehrs zollrechtlich ausgenutzt werden konnten, des Fernverkehrs je nach Wohnsitz des Käufers bzw. nach der durch Kassenzettel zu belegenden Entfernung des Warenhauses von der Grenze (Sargans gehört immer zum Fernverkehr und von dort sind Waren bis zu 1000 Schilling zollfrei nach Österreich importierbar).'

Die dem Österreicher innewohnende Neigung, alles, was aus dem Ausland kommt, dem heimischen Produkt vorzuziehen, hat gelegentlich bei diesen Einkäufen über der Grenze mitgewirkt. Für viele war das Mehl in der Schweiz weißer (die Vermahlungsvorschriften sind in beiden Ländern verschieden, so daß man z. B. in Österreich das in der Schweiz sehr behebte Graubrot nicht kennt), der Zucker süßer (er kam aus Österreich), der Reis feinkörniger (die Bezugsquelle war. dieselbe). Richtig ist, daß bis vor nicht langem — etwa vor einem Jahr — sehr viele Produkte in der Schweiz und in Liechtenstein, besonders in den Supermärkten mit ihren Rationalisierungsmöglichkeiten, bedeutend billiger waren, so das durch Subventionen erheblich verbilligte Schwarzbrot und Graubrot (nicht die Semmel), die Teigwaren, Speiseöl, Reis, Zucker, Stoffe (Meterware), Photoapparate und Filmmaterial sowie Photoausarbeitung, Wein, Fruchtsäfte und Mineralwässer (diese sind auch heute noch dort viel billiger), Waschmittel, Wäsche, Anzüge, Pelzmäntel, Möbel (der dafür zu zahlende Betrag an Eingangsabgaben, praktisch Umsatzausgleichssteuer, und die Fracht machten zusammen noch immer weniger aus als das Möbelstück in Vorarlberg kostete, selbst wenn es aus Österreich stammte) und Haushaltartikel.

Heute ist das ganz anders, und selbst vor Weihnachten 1974 blieben die meisten schweizerischen Supermärkte an der Grenze, „Migros“ vielleicht ausgenommen, gähnend leer, während in Vorarlberg die Umsätze sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelten, dies auch durch Bestellungen von Schweizern (Wein, Zucker, Butter, Wurst, Fleisch, Teigwaren usw.). Die Geldentwertung hat in der Schweiz weit mehr zugenommen als in Österreich, so daß innerhalb eines Jahres die Preise um etwa 10 bis 14 Prozent gestiegen sind. Dazu kommt der Kursanstieg des Franken gegenüber dem Schilling von seinerzeit 6 Schilling auf nunmehr etwas 6,75 Schilling pro Franken. Diese „Gesamtpreiserhöhung“ um etwa 25 Prozent war weit mehr als der österreichische Preisanstieg plus früherem Niedrigerpreis in der Schweiz. Große Schweizer Warenhäuser, die unmittelbar an der Grenze nur erbaut wurden, um die österreichische Kaufkraft abzuschöpfen, so etwa ein riesiges Warenhaus in St. Margrethen und ein kaum weniger großes in Haag haben sich total verspekuliert. War man in der Schweiz früher gegenüber dem ohnehin andrängenden österreichischen . Käufer eher schmissig und unfreundlich, so hat sich das geändert, nützt aber vorerst nichts.

In Vorarlberg sind zudem Supermärkte mit Billigstpreisen entstanden — nicht nur österreichische, sondern auch deutsche -s die jetzt österreichische wie schweizerische Kaufkraft abschöpfen. Allerdings wirkt sich die durch die Arbeitszeitverkürzung ziemlich grundlos eingeführte Samstagnachmittagssperre wiederum sehr negativ auf die Vorarlberger Kaufmannschaft aus, weil das obligatorische Geschlossenhalten aller Geschäfte am Donnerstag nachmittag geblieben ist. Vorarlberg ist damit das. einzige Bundesland mit zwei Wochentagsnachmittagen, an denen die Geschäfte geschlossen sind. Das wird den Schweizern trotz teurerer Preise wieder zugute kommen, denn dort ist am Donnerstag ganztägig offen, am Freitag bis 20 Uhr und am Samstag bis 16 Uhr.

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