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Wettlauf um den Export

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Die Atmosphäre, in der sich augenblicklich die Wiederanknüpfung unterbrochener Wirtschaftsbeziehungen vollzieht, ist voll von günstigen, aber auch ungünstigen Elementen. Zu den ersteren gehört vor allem der ungeheure Warenmangel in %den vom Krieg unmittelbar betroffenen Staaten, der sich schon in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg als ein starker Faktor zur Ankurbelung von Wirtschaft und internationalem Flandcl erwiesen hat. Fast ebenso wichtig ist die heute allgemein gültige Erkenntnis für die Bedeutung eines freien Viiu schafts verkehrs. Zu den ungünstigen Elementen sind zu /rechnen das durch Kriegszerstörungen verminderte Potenzial vor allem der mitteleuropäischen Industrie, die weitgehende Zerschlagung des Transportsystems, die unsichere Lage auf währungspolitischem Gebiete und schließlich die Ungeklärtheit wichtigster Probleme, deren Lösung erst von der Friedenskonferenz erwartet werden darf. Die geschilderten Faktoren sind nicht überall im gleichen Maße wirksam und deshalb sind bei dem Wettlauf um den Export, der augenblicklich im Gang ist, einzelne Staaten stark im Vorteil. Die USA sind zu Vorkämpfern des Welthandels geworden, doch kann bis zur Stunde von einer amerikanischen Exportoffensive großen Stils noch nicht gesprochen werden England isf unter Anspannung aller Kräfte bestrebt, seine Ausfuhr auszudehnen und hat bis jetzt überraschend gute Erfolge erzielt. Der britische Exporthandel hat sich in den letzten drei Monaten verdoppelt. Er dürfte im Februar schon die Grenze von- 60 Millionen Pfund Sterling überschreiten, das ist mehr als doppelt soviel wie im November 1945.

Ein Haupthindernis für ein noch rascheres Anwachsen bildet dabei schon jetzt die Knappheit an geschulten Arbeitskräften sowie an Schiffsraum! Besonders groß scheinen die Exportaufträge in der Industrie für Autos und Werkzeugmaschinen zu sein. Aus Birmingham und Umgebung werden derzeit bereits mehr als 4000 Kraftwagen pro Monat ausgeführt. Holland gab den Auftrag zur Lieferung von 20.000 Motorrädern. Es wird allgemein erwartet, daß im laufenden Jahr die Exportgrenze von 300.000 Fahrzeugen (Fahrräder eingeschlossen) erreicht werden wird. In den Midlands gibt es Fabriken, die bereits doppelt so viel Werkzeugmaschinen exportieren wie vor dem Kriege.

Am europäischen Festland sind es vornehmlich Schweden und die Schweiz, die ihr Exportgeschäft erfolgreich forcieren. Die schwedische Wirtschaft hat bis Kriegsende die heimischen Industriebetriebe dauernd vergrößert und mit den modernsten technischen Einrichtungen versehen, sodaß das Land über eine starke Sehlagkraft im internationalen Wettbewerb verfügt. Der weitaus größte Teil der Fabriken ist daher auf lange Zeit hinaus mit Aufträgen versorgt. Die schwedischen Schiffswerften werden für mehr als drei Jahre mit den vorliegenden Aufträgen zu tun haben. Schweden ist in der glücklichen Lage, daß es auch Lieferkredite gewähren kann, um den Export zu erleichtern.

Dieser Faktor spielt auch im Ausfuhrgeschäft der Schweiz eine, man könnte fast sagen, tragende Rolle. Die Eidgenossenschaft hat im vergangenen Jahr rund 350 Millionen Franken an Exportkrediten gewährt und eben jetzt sind mit England wichtige finanzielle Vereinbarungen getroffen worden, die die Gewährung eines Kredits von angeblich 100 Millionen Franken zur Förderung der Schweizer Ausfuhr und zur Erleichterung des englisch-schweizerischen Fremdenverkehrs zum Ziele haben. Während des vergangenen Jahres sind nun Ein- und Ausfuhr durch die Kriegsereignisse und den Zusammenbruch Deutschlands nachteilig beeinflußt worden. In den letzten Monaten 1945 trat eine rasche Wendung zum Besseren ein, sodaß die Ausfuhr von 30 Millionen Franken im Monat Jänner auf 167 Millionen Franken im Dezember anschwoll. Jetzt läuft auch die Schweizer Industrie auf vollen Touren und obgleich gegen Ende' 1945 ' rund 435.000 Fabrikarbeiter gezählt wurden gegen nur 360.000 im Jahre 1937, herrscht in einzelnen Industrien eine Knappheit an Arbeitskräften.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß in dem großen Raum von der Schweizer Ostgrenze angefangen bis zum Schwarzen Meer eine Art handelspolitisches Niemand 1 a n d entstanden ist.

Für Österreich gilt dabei die Feststellung, daß im vergangenen Jahr viele Monate hindurch ein zwischenstaatlicher Güterverkehr überhaupt nicht mehr vorhanden war. Nun ist es ja seither gelungen, den Warenaustausch mit den Nachbarstaaten wieder zu aktivieren. So wurden Kompensationsverträge mit der Tschechoslowakei, mit Ungarn und mit Italien abgeschlossen. Mit Polen sind augenblicklich Besprechungen im Gang. Verhandlungen mit Bulgarien, Jugoslawien, Schweden und Frankreich dürften in absehbarer Zeit erfolgen. Der tatsächliche Warenaustausch hält sich freilich noch in sehr bescheidenen Grenzen. Gerade bei den Besprechungen mit den Nachbarstaaten zeigte sich erst in seinem ganzen Ausmaß der furchtbare Ent-güterungsprozeß, den die Wirtschaft bis hinunter zum Schwarzen Meer über sich hat ergehen lassen müssen. Es fehlt im ganzen Südosten sozusagen an allem, und •wenn überhaupt ein zwischenstaatlicher Warenaustausch zustandekommt, so nur deshalb, weil es auch in einer verarmten Wirtschaft Dringlichkeitsstufen gibt.

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