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Überfremdung in Liechtenstein

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Liechtenstein gehört zu den — gerechnet pro Kopf der Einwohnerzahl und noch mehr der Berufstätigen — am stärksten überfremdeten Staaten Europas, wie es auch, gerechnet nach dem Prozentsatz der in der Industrie tätigen unselbständig Erwerbstätigen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, zu den höchstindustrialisierten Staaten Europas zählt, wenn es nicht überhaupt der am stärksten industrialisierte Staat ist.

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Liechtenstein gehört zu den — gerechnet pro Kopf der Einwohnerzahl und noch mehr der Berufstätigen — am stärksten überfremdeten Staaten Europas, wie es auch, gerechnet nach dem Prozentsatz der in der Industrie tätigen unselbständig Erwerbstätigen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, zu den höchstindustrialisierten Staaten Europas zählt, wenn es nicht überhaupt der am stärksten industrialisierte Staat ist.

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Man braucht nur, bei einem Staat mit 22.000 Einwohnern, daran zu denken, daß es Großindustrien von Weltruf und mit sehr beträchtlicher Mitarbeiterzahl gibt. In Liechtenstein ist die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern bereits abtgeschafft, es gibt nur noch „Mitarbeiter“. Der Haken liegt nuii darin, daß diese Mitarbeiter zu einem sehr großen Teil keine Liechtensteiner sind, sondern Ausländer. Liechtenstein würde niemals so viele Mitarbeiter an die Industrie und den Fremdenverkehr liefern können wie deren benötigt werden, um den enorm hohen Exportstand zu sichern.

Diese ausländischen Arbeitskräfte sind keineswegs etwa Jugoslawen, Italiener, Türken oder Spanier (ausgenommen vielleicht die Italiener im Baugewerbe), sondern qualifizierte Facharbeiter und sonstige Fachkräfte aus Österreich (meist Grenzgänger), aus der Schweiz und teilweise auch aus Westdeutsehland. Sie kommen wegen der hohen Verdienstmöglichkeiten nach Liechtenstein. Diese

hohen Verdienstmöglichkeiten ergeben sich teils aus den absolut hohen Einikommen, teils aus den niedrigen Steuern, von welchen freilich der Grenzgänger nicht profitieren kann, da er im Wohnsitzstaat besteuert wird, wohl aber der sogenannte „Aufenthalter“. Aber auch der Grenzgänger zahlt weniger Steuer, als wenn er als Österreicher in Österreich tätig wäre. Denn seine Oberstundenentgelte versteuert er in der Regel — contra legem — nicht (warum nicht, ist eine eher komplizierte Sache).

Die liechtensteinische Industrie kann ohne die Ausländer, ob nun Grenzgänger oder Aufenthalter, nicht bestehen. Die Zahl der Grenzgänger, die in Vorarlberg wohnen und täglich nach Liechtenstein auspendeln, um dort zu arbeiten (Grenzgänger), liegt derzeit bei 1800, wechselt allerdings ständig. Die liechtensteinische Industrie nimmt kaum Entlassungen vor (zwei kleinere Firmen “sind allerdings in Konkurs gegangen). Die liechtensteinische Industrie müßte zusperren, hätte sie nicht die Grenzgänger und

sonstigen Arbeiter aus Österreich und die Arbeitskräfte aus der Schweiz. Letztere bedürfen keiner Genehmigung, um in Liechtenstein arbeiten zu können.

Gerade das bildet aber einen Grund des Kummers für den Regierungschef Dr. Walter Kieber. Dieser erklärte im Landtag bei einer Anifragetoeantwortung, der Anstieg der Ausländeraahl in Liechtenstein sei besorgniserregend, womit er nicht die Grenzgänger meinte, die man ja jeden Tag heimschicken kann, sondern Aufenthalter und Niedergelassene. Vor allem der Anteil der Schweizer gebe zu Sorge Anlaß. “Diese machten bereits 40 Prozent aller Ausländer aus.

An diesen Feststellungen ist bemerkenswert, daß erstmals von offizieller Seite gegen die Überfremdung Liechtensteins durch Schweizer, weniger durch Österreicher oder Deutsche, Stellung genommen wird. Tatsächlich betrachtet man in der Schweiz Liechtenstein gelegentlich als so etwas wie einen schweizerischen Kanton ohne eigene Souveränität. Schweizerische Steuerfahnder betätigen sich in Liechtenstein trotz aller Proteste, schweizerische Polizeiorgane haben schon mehrfach Verkehrdelinquenten bis auf liechtensteinisches Territorium verfolgt und von dort gleich wieder in die Schweiz mitgenommen, und immer wieder kann man in schweizerischen Zeitungen Artikel gegen die konstitutionelle Monarchie in Liechtenstein lesen, obwohl doch gerade das Fürstentum ein Garant der Eigenständigkeit Liechtensteins und die Monarchie von allen Liechtensteinern bejaht und leidenschaftlich geliebt wird.

Wenn heute ein Drittel aller in Liechtenstein, wohnhaften Personen Ausländer sind und wenn zudem die

Grenzgänger .aus Vorarlberg bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter in liechtensteinischen Industriebetrieben stellen, so muß allerdings auch noch die Frage aufgeworfen werden, ob Bilanz- und andere Gewanne, Vermögenszuwächise aller Art, wie man sie sonst wohl nur noch in Dubai oder Qatar beobachten kann, dem Lande Liechtenstein nützlich sind. Dieses ist mit seiner Industrie, die dabei profitiert, ja keineswegs identisch. Mit Schrecken sieht man, wie die überdimensionierte Industrie, trotz aller Bemühungen um soziale Maßnahmen und Umweltschutz, die Struktur unheilvoll verformt, wie sich ihre Werkshallen in die einist so schöne Landschaft fressen, wie ihre höheren Angestellten Häuser bis mitten in die Wälder bauen, wie die Preise ins Astronomische wachsen, man in den Spitzenrestaurants unter 50 Franken kein gutes Essen mit etwas Wein bekommt, für eine „Parksünde“ in Vaduz 50 Franken Buße zahlen muß, wie die enorme Wiftschaftskonjunk-tur, die vorerst anhält, alle traditio-

nell-ethischen Werte zusammenschrumpfen läßt und außer Geldgier nichts mehr übrig bleibt. Die jetzt beklagte Überfremdung hat das erst ermöglicht. Kann man aber gegen eine Überfremdung sein, wenn der Reichtum des Landes von den Fremden produziert wird? Wenn es kürzlich hieß, daß das Pro-Kopf-Einkommen der Schweiz, das bisher als das höchste in der Welt galt, durch jenes von Kuwait bedeutend überschritten worden sei, wurde Liechtenstein. “ bei dieser Rechnung wohl nicht berücksichtigt. Das Pro-Kopf-Einkommen in Liechtenstein wird auf mindestens das Doppelte dessen der Schweiz geschätzt.

In vieler Hinsicht ist die Entwicklung eine ähnliche wie sie es in Tirol und Vorarlberg bis noch vor einem halben Jahr war. Auch da die große Überfremdung, weil man ohne die ausländischen Arbeltskräfte nicht ständig expandieren, nicht immer mehr verdienen kann. So wurden Tirol, und noch mehr Vorarlberg, zwar perfekte Produktionsgebiete, aber immer seelenloser.

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