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Bockbeinige Bergler...

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Mit einer wesentlich größeren Mehrheit als vor zwei Jahren haben die (männlichen) Stimmbürger des Fürstentums Liechtenstein das Stimm- und Wahlrecht für die Frauen abgelehnt. Ein Überhang von rund 400 Stimmen gegen die politische Gleichberechtigung bedeutet in einem Mini-Staat wie Liechtenstein mit seinen kaum mehr als 20.000 Einwohnern und seiner Bodenfläche von nur 160 Quadratkilometern eine Ungeheuerlichkeit.

Politisch mag der Entscheid erstaunlich sein, waren es doch alle 15 Parlamentarier, die den Anstoß zur jetzigen Befragung gegeben und die dabei die befürwortende Parole ausgegeben haben. „Wir alle hoffen“, erklärte noch am Tage vor der Abstimmung der Regierungschef Doktor Alfred Hübe, „daß die Gleichberechtigung sich durchsetze, was allerdings nicht etwa ein Schlußstrich unter einer Entwicklung wäre, sondern zu anderen, ebenso notwendigen Reformen Anlaß geben müßte“. Es kam anders, und zwar wohl in erster Linie deshalb, weil die bewußten Frauenstimmrechtsgegner die Meinung vertraten, man müsse zuerst die anderen Reformen durchführen.

Im Vordergrund stand zweifellos das Bürgerrechtsgesetz, dessen Sonderheiten für den Fall der Einführung des Frauenstimmrechtes noch deutlicher zutage getreten wären. Man muß nämlich wissen, daß Liechtenstein nicht nur im Sinne der „Gastarbeiter“ das am meisten „überfremdete“ Land Europas ist (von insgesamt 21.000 Einwohnern sind etwa 7500 Ausländer!), die Überfremdung ist noch deutlicher auf dem Sektor der Einheirat. Die Hälfte aller in Liechtenstein ansässigen Ehefrauen waren Ausländerinnen und sind nur durch Heirat Liechtensteinerinnen geworden. Sie hätten natürlich das volle Stimmrecht erhalten, wenn sich die Männer am Abstimmungssonntag anders entschieden hätten. Doch diese „Ungerechtigkeit“ wird noch verschärft durch den Umstand, daß Liechtensteinerinnen, die einen Ausländer heiraten, sofort ihre liechtensteinische Staatsbürgerschaft verlieren, selbst wenn sie weiterhin im Fürstentum leben. Ihnen also wäre das Stimmrecht nicht zugesprochen, beziehungsweise später einmal entzogen worden! Und die dritte Erschwernis auf diesem Gebiet: Es leben gegenwärtig 407 Ausländer in Liechtenstein, die hier schon seit mehr als 40 Jahren ansässig sind, denen aber die Staatsbürgerschaft noch immer nicht gewährt wird.

Abgesehen von jenen bockbeinigen Berglern Liechtensteins, die sich aus Prinzip gegen jede Neuerung zur Wehr setzen, haben viele überlegt gegen die politische Gleichberechtigung gestimmt in der Überzeugung, daß die Reihenfolge falsch gewesen wäre, daß man .also zuerst gesetzliche Änderungen durchführen sollte, bevor man als Schlußpunkt das Frauenstimmrecht in die Verfassung aufnehme.

Unterschwellig haben dann noch zwei andere, indirekt aber doch damit zusammenhängende Problemkreise eine Rolle gespielt: die Frage des Gemeindebürgerrechtes und jene des Eherechtes.

Es ist ja so, daß das liechtensteinische Landesbürgerrecht nur erlangt werden kann, wenn man das Bürgerrecht einer Gemeinde des Fürstentums besitzt, und dieses Gemeindebürgerrecht wird von der Bürgerversammlung der betreffenden Gemeinde verliehen. Dabei haben aber nur jene stimmfähigen Männer das Mitbestimmungsrecht, die in der Gemeinde geboren sind und dort auch wohnen. So kommt es denn zu den verworrensten Situationen, indem zum Beispiel ein Gemeindepräsident, also der höchste kommunale Repräsentant, nicht mitentscheiden darf an der Gemeindeversammlung, weil er jetzt zwar seit Jahren dort wohnt und im Vertrauen der Gemeindebürger zu ihrem Präsidenten erkoren worden ist, weil er aber nicht in der betreffenden Gemeinde geboren wurde. Wenn das Frauenstimmrecht eingeführt worden wäre, dann hätten aber die zugezogenen Ehefrauen, die bisher Ausländerinnen waren, sofort mitreden können, weil sie ja über die Heirat mit einem liechtensteinischen Gemeindebürger selbst Gemeindebürgerinnen geworden wären.

Das Eherecht schließlich steht gegenwärtig grundsätzlich zur Debatte. Die Regierung des Fürstentums tritt für die obligatorische Zivilehe ein, was dann gleichzeitig auch das Scheidungsrecht implizieren würde. Auch in diesem Punkt waren viele Bürger, die an sich für das Frauenstimmrecht wären, für eine andere Reihenfolge.

In diesem Sinn muß man sich dann fragen, weshalb die Parlamentarier dermaßen auf eine neue Volksbefragung in Sachen Frauenstimmrecht drängten, wo die letzte doch erst vor zwei Jahren stattgefunden hatte und die politischen Fachleute von diesen unterschwelligen Hemmnissen Kenntnis hatten.

Auf jeden Fall hat die Verwerfung der jüngsten Vorlage dazu geführt, daß das Ausland mit dem vereinfachenden Klischee hantiert und Liechtenstein mit einem hinterwäldlerischen Stamm gleichsetzt. Gerade das aber wäre falsch, und nur wer die Hintergründe in Betracht zieht, kann — bei allem Bedauern über den Ausgang der Abstimmung — ein objektives und gerechtes Urteil fällen.

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