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Das Land, in dem es keine Streiks gibt

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Sie fühlen sich wohl in ihrer Rolle - die Liechtensteiner, Bewohner eines Kleinstaates im Herzen Europas, der zwischen die Schweiz und Österreich eingebettet ist. Dennoch breitet sich in den Gemeinden unterhalb des Schlosses Vaduz zunehmend Besorgnis aus: Das Image des Fürstentums scheint nach Ansicht der Bewohner zu Unrecht in Mißkredit geraten zu sein.

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Sie fühlen sich wohl in ihrer Rolle - die Liechtensteiner, Bewohner eines Kleinstaates im Herzen Europas, der zwischen die Schweiz und Österreich eingebettet ist. Dennoch breitet sich in den Gemeinden unterhalb des Schlosses Vaduz zunehmend Besorgnis aus: Das Image des Fürstentums scheint nach Ansicht der Bewohner zu Unrecht in Mißkredit geraten zu sein.

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In Vaduz wollte man es genau wissen. „Besitzt das Ausland überhaupt ein Bild von Liechtenstein, und, bejahendenfalls, wie sieht dieses Bild aus“, fragte die Liechtensteinische Akademische Gesellschaft konkret und gab daher dem Institut für Demoskopie Allensbach den Auftrag zur Durchführung einer diesbezüglichen Studie. Das Ergebnis interpretierte der Leiter der Presse- und Informationsstelle der Regierung des Fürstentums, Walter Kranz, als „nicht gerade befriedigend“. Denn das Bild Liechtensteins im Ausland sei zu sehr von Begriffen wie „Land der Briefmarken“, „Tal des Friedens mit bimmelnden Kuhglok-keri“, „Steuereldorado“ und „Paradies sämtlicher Wirtschaftsgangster“ geprägt. Pressechef Kranz glaubt auch den Grund dafür zu kennen, warum diese für Liechtensteins Image im Ausland so abträglichen Formulierungen überhaupt herumkursieren: „In der Berichterstattung über unser Land scheinen die für viele Blätter unab-dinglich notwendigen Gags Vorrang vor einer seriösen Berichterstattung zu haben...“

Ganz so schlecht ist die Studie wieder nicht ausgefallen (siehe untenstehende Besprechung „Das politische Buch“), sie war höchstens ein Alarmzeichen dafür, daß es im Zuge der europäischen Integration auch für das kleine Fürstentum Liechtenstein notwendig ist, sich vermehrt um die inter-und transnationalen Verbundenheiten zu kümmern. Der ehemalige Regierungschef des Fürstentums, Hofrat Dr. Gerhard Batliner, gibt das in einem Vorwort zur erwähnten Studie unumwunden zu: „Keinem Staat kann es gleichgültig sein, welches Ansehen er im Ausland genießt____Noch mehr muß dies für den kleinen, besonders auslandverflochtenen und über wenig Machtmittel verfügenden Staat gelten.“ Dr. Batliner geht weiter und lotet die Möglichkeiten für den Kleinstaat aus: „Die Frage nach unserem Bild und Ansehen im Ausland kann ein Zweifaches abverlangen: vermehrte Information (Image-Pflege) wie auch vermehrtes Bemühen um unsere eigene liechtensteinische Wirklichkeit.“

Wenige Wochen vor den Feierlichkeiten zum 40. Regierungsjubiläum des Landesherren, Fürst Franz Josef II., hat man sich im Fürstentum darangemacht, eben diese „liechtensteinische Wirklichkeit“ auch dem Ausland klar vor Augen zu führen. Pressechef Kranz formuliert das so: „Wir Liechtensteiner fühlen uns vor allem nicht als Kuriosum und als Dornröschen-Paradies, das vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation noch übriggeblieben ist, sondern als lebendigen, pulsierenden Staat, in dem die demokratischen Werte einen Stellenwert vor dem Komma einnehmen ...“

Womit er recht hat. Zwar werden für einen Nicht-Liechtensteiner gewisse Dinge im politischen Tagesablauf des Fürstentums immer kurios anmuten. Man denke nur daran, daß die Präsidenten von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisation in Liechtenstein derselben Partei angehören und „friedlich beisammensitzen“ (Kranz). Oder daß es zwischen den beiden großen Parteien des Landes (Vaterländische Union und Fortschrittliche Bürgerpartei) praktisch überhaupt keine weltanschaulichen Unterschiede gibt - die eine ist christlichsozial, die andere christlichdemokratisch. (Wie läßt sich zwischen diesen beiden Großparteien die dritte, die Christlich-soziale Partei einordnen, die bisher noch keinen Sitz im Landtag hat?)

Aber was soll diese Fragerei nach diesen für einen Österreicher sicher ungewöhnlichen Konstellationen in der politischen Landschaft des kleinen Nachbarn - die Liechtensteiner sind damit bisher bestens gefahren, ihr politisches System hat sich bestens bewährt und ist demnach das richtige für das Fürstentum!

Und was die Kranz-Formulierung vom „lebendigen, pulsierenden Staat“ angeht: Das Fürstentum ist innerhalb kürzester Zeit zu einem der höchst industrialisierten Länder der Welt geworden, hat nach dem Zweiten Weltkrieg gewissermaßen seine eigene „Industrielle Revolution“ mitgemacht, ist von einem Agrar- zu einem Industriestaat geworden. Waren 1925 noch 75 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, 1941 noch 43 Prozent - heute sind es nur noch 3,5 Prozent der Liechtensteiner.

Dabei muß den Bewohnern des Fürstentums große Klugheit bescheinigt werden. Denn trotz der gewaltigen Industrialisierung und des radikalen Strukturwandels vor allem im ökonomischen und damit verbunden im gesellschaftspolitischen Bereich gibt es in diesem Kleinstaat keine qualmenden Fabriksschlote, keine überdimensionalen Industriezentren und keinen sozialen Unfrieden, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer entzweien und die Werktätigen auf die Straße beziehungsweise auf die Barrikaden treiben würde: Nicht einen einzigen Streik gab es bis jetzt im Fürstentum!

Zwar wurde die industrielle Expansion in Liechtenstein durch die weltweite Rezession ebenfalls gebremst, „allzuviele Federn hat die Industrie dennoch nicht lassen müssen“ (Kranz). Daß diese Rezessionsphase in Liechtenstein relativ gut überstanden wurde, ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die 45 Fabriken zumeist hochspezialisierte Produkte herstellen, die auf dem Weltmarkt nicht so krisenanfällig sind.

Es waren weder die politischen noch die ökonomischen Verhältnisse, die das Bild Liechtensteins im Ausland entstellt oder den großen Nachbarn Gelegenheit dazu gegeben haben, das Fürstentum verächtlich zu belächeln oder scharf zu kritisieren: „Liechtensteins Achillesferse“ (Neue Vorarlberger Tageszeitung), die dem Ausland immer wieder die Möglichkeit gibt, sich mißmutig über das Fürstentum zu äußern, ist das Gesellschafts- oder Holdingwesen, durch das der Kleinstaat immer wieder in große internationale Skandale verwickelt wurde. Letztes Glied in dieser Kette war der Fall der Liechtensteiner Texon-Finanzierungsanstalt, die in den „Chiassö-Skandal“ einer Schweizer Großbank verwickelt wurde. Nach dem Willen der Liechtensteiner Rechtsanwaltskammer und der Regierung soll dieser vorläufig jüngste Skandal überhaupt der letzte werden. Denn jetzt wird reformiert!

Schwerpunkte der Reform: Auslandsgeschäfte und alle kommerziellen Transaktionen sollen in Hinkunft nur noch über Aktiengesellschaften abgewickelt werden können. Die Anstalten werden auf reine Vermögensverwaltungen reduziert. Gleichzeitig wird die bisherige Bilanzvorlagepflicht verschärft und der Uberprüfung durch eine anerkannte ausländische Treuhandgesellschaft unterliegen. Damit sollen die ramponierten Beziehungen zurechtgebogen, das Image im Ausland wieder aufpoliert werden. Die wunde Stelle ist also entdeckt, der Krankheitskeim erkannt (sicherlich hat dazu auch die Meinungsumfrage beigetragen; allein das zeigt, wie wichtig eine solche Studie für ein Land ist), jetzt muß nur noch die Therapie in Angriff genommen werden. Es wird vermutlich noch einige Monate dauern, bis die Reformen das Parlament passiert haben werden, trotzdem gibt es wenig Zweifel daran, daß die Liechtensteiner den richtigen Griff getan haben.

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