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Der kleine Riese jubiliert

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Vorarlberg und Liechtenstein teilten mehr als tausend Jahre lang ein gemeinsames Schicksal; erst Hans Adam von Liechtenstein (1662—1712), der Bauherr des Liechtenstein-Palais und der Liechtenstein-Galerie in Wien, erwarb vom Grafen von Hohenems im Jahre 1699 die Herrschaft Schellenberg und 1712 die Grafschaft Vaduz. Sein Nachfolger erlangte im Jahre 1719, also vor 250 Jahren, von Karl VI. für die beiden Gebiete Reichsunmittel-barkeit und vereinigte sie unter dem Namen Liechtenstein zum Fürstentum.

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Vorarlberg und Liechtenstein teilten mehr als tausend Jahre lang ein gemeinsames Schicksal; erst Hans Adam von Liechtenstein (1662—1712), der Bauherr des Liechtenstein-Palais und der Liechtenstein-Galerie in Wien, erwarb vom Grafen von Hohenems im Jahre 1699 die Herrschaft Schellenberg und 1712 die Grafschaft Vaduz. Sein Nachfolger erlangte im Jahre 1719, also vor 250 Jahren, von Karl VI. für die beiden Gebiete Reichsunmittel-barkeit und vereinigte sie unter dem Namen Liechtenstein zum Fürstentum.

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Nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nahm Napoleon 1806 Liechtenstein gegen seinen Willen in den Rheinbund auf und verlieh ihm dadurch die Souveränität. Der Rheinbund zerfiel nach der Schlacht bei Leipzig, und Fürst Johann I. trat dem Deutschen Bund bei, der bis zum Krieg von 1866 Bestand hatte; seine Auflösung hob die letzte staatsrechtliche Bindung Liechtensteins an Deutschland auf.

Von 1852 bis 1919 gehörte Liechtenstein zum österreichischen Zollgebiet, weshalb in Liechtenstein die österreichische Währung galt; durch ihre Entwertung verlor die Bevölkerung 20 Millionen Goldkronen, während gleichzeitig dem fürstlichen Haus in der CSSR ein Gebiet, sechsmal so groß wie das Fürstentum, enteignet wurde.

Nach langen Verhandlungen schloß sich Liechtenstein mit der Post, der Währung und dem Zollwesen der Schweiz an, behielt aber seine eigenen Briefmarken, die von den Sammlern wegen ihrer Schönheit und geringen Auflage sehr geschätzt werden. Auch die auswärtige Vertretung seiner Interessen hat Liechtenstein der Schweiz übertragen, bei der es in Bern eine Gesandtschaft unterhält.

Das Fürstentum ist 157 Quadratkilometer groß und zählt fast 16.000 Einwohner in elf Gemeinden. Von der Bergstation Pardiel, oberhalb Ragaz, die selbst wieder Ausgangspunkt eines Sesselliftes auf den Piz Sol ist, überblickt man (mit Ausnahme des Saminatales) das ganze Land, das zu

zwei Drittel aus Bergen, zu einem Drittel aus der Rheinebene besteht; sie liegt 450 m über dem Meer; die höchste Erhebung erreicht 2600 m.

Liechtenstein ist weder ein Märchenland noch hält es den Dornröschenschlaf; es unterscheidet sich auch vom Stadtstaat Monako und von den Zwergrepubliken Andorra und San Marino, die gerne in einem Atem genannt und Neugierigen gegen Bezahlung gezeigt werden; das Fürstentum Liechtenstein hingegen lebt von seiner Arbeit. Man kann es einem Großstaat gegenüberstellen wie die Biene einem Elefanten: sie ist zwar viel kleiner als er, in ihrer Art aber keineswegs verkümmert, sondern ausgewachsen und hoch entwickelt, so daß sie ihn in mancher Hinsicht sogar übertrifft. /

Der Vergleich macht den Fleiß anschaulich, mit dem die Liechtensteiner ihre Felder, Gärten, Wiesen und Weinberge bearbeiten und ihre Sägewerke, Webereien, Feinmechanik-und sonstigen anderen Werkstätten betreiben.

Richter aus Österreich

Das Fürstentum ist ein ernst zu nehmender Staat, dessen Form — die konstitutionelle Monarchie — seine Bürger als für sie passend empfinden und aufrichtig bejahen. Die Verfassung verbindet seit 1862 und besonders seit 1921 in idealer Weise Monarchie und Demokratie. Die Krone ist in der männlichen Linie des Herrscherhauses erblich, aber der Fürst muß sich vor dem Antritt der Regierung schriftlich verpflichten, die Verfassung zu achter. Die Volks-

Vertretung besteht aus 15 Abgeordneten, die alle vier Jahre gewählt werden. Die Frauen dürfen nicht wählen.

In wichtigen Belangen gilt noch das österreichische Recht, so das Strafgesetz, die ZivUprozeßordnung, vor allem aber das Ehe- und Familienrecht des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in seiner ursprünglichen Fassung: Liechtenstein gehört deshalb zu den wenigen Staaten, die die Zivilehe nicht kennen.

Die geringe Einwohnerzahl machte es verständlich, daß Liechtenstein selber nicht so viele Richter hat, als für die Ermöglichung des Rechtszuges notwendig sind. Dazu kommt das Bestreben, auch in dem kleinen Lande, dessen Einwohner sich persönlich kennen und vielfach miteinander verwandt oder verschwägert sind, die Unabhängigkeit der Richter und die Unparteilichkeit der Rechtssprechung zu gewährleisten. Deshalb sind in Liechtenstein die Kollegialgerichte zum Teil mit österreichischen und Schweizer Richtern besetzt; im Obersten Gerichtshof führt der frühere österreichische Justizminister Dr. H. Kapfer den Vorsitz, dem Staatsgerichtshof gehört ein Professor der Universität Freiburg im Uchtland an.

Zwölf Mann Polizei sorgen für Sicherheit und Ordnung; eigene Föhnwachen und ein strenges Rauchverbot bannen die Gefahren, mit denen der warme Fallwind die Talsohle bedroht.

Bei dem Aufschwung, den Liechtenstein genommen hat, war es wie die Schweiz bemüht, Vorarlberger Arbeitskräfte zu bekommen. Zwischen 1945 und 1958 wurden über 12.000 Personen aus Vorarlberg statistisch erfaßt, die längere oder kürzere Zeit in Liechtenstein und in der Schweizer Grenzzone beschäftigt waren. Im Jahre 1958 nahm die Zahl der Grenzgänger in die Schweiz etwas ab, nach Liechtenstein hingegen weiter zu (992 im Jahre 1959, 1600 im Jahre 1965).

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