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Pontifex ohne Souveränität

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Der Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann hat ein interessantes Kapitel aus dem Jahr 1916 nachrecherchiert: Liechtenstein sollte Papstterritorium werden.

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Der Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann hat ein interessantes Kapitel aus dem Jahr 1916 nachrecherchiert: Liechtenstein sollte Papstterritorium werden.

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Am 8. September weilt Papst Johannes Paul II. zu einem Kurzbesuch im Fürstentum Liechtenstein. Daß dieses Fürstentum im Jahre 1916 beinahe dem damaligen Papst, Benedikt XV., übertragen worden wäre, ist weitgehend unbekannt. Der Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann1 hat kürzlich die in diesem Zusammenhang wichtigen Ereignisse des Jahres 1916 mit genauen Quellenangaben dargestellt, ein bemerkenswertes Kapitel Zeitgeschichte.

Anlaß für das Projekt „Liechtenstein dem Papst“ war die seit 1870, dem Ende des Kirchenstaates, schwelende „Römische Frage“. Der Heilige Stuhl strebte nach rascher Erlangung der echten Souveränität noch während des Krieges, während vor allem Italien Vertreter des Heiligen Stuhles von etwaigen Friedensverhandlungen ausschließen wollte. In einem Schreiben des päpstlichen Privatsekretärs Rudolf von Gerlach vom 12. März 1916 an einen deutschen Verlag heißt es, „nur ein wirklicher territorialer Besitz kann dem Papste diejenige Freiheit gewährleisten, deren derselbe zur Ausübung seines hohen Amtes bedarf“.

Im gleichen Schreiben wird betont, „daß das Gebiet des Papstes nur wenige Quadratkilometer zu umfassen brauchte“, aber jedes Wort dahingehend vermieden, daß die Souveränität an römisches Territorium gebunden sein müsse.

Motor der für die folgenden Wochen nachweisbaren Bemühungen, mittels des Fürstentums Liechtenstein die päpstliche Souveränität wiederherzustellen, war der - fünf Jahre später, am 26. August 1921, ermordete - deutsche Zentrumspolitiker Matthias Erz-berger. Ursprünglich wohl eine Privatidee Erzbergers, wurde das Projekt Liechtenstein bald vom Papst gebilligt und Erzberger zu -natürlich strikt geheimen — Verhandlungen beauftragt.

Das älteste archivalische Zeugnis für dieses Projekt, das Liebmann finden konnte, ist ein Brief Erzbergers vom 27. März 1916 an Rudolf von Gerlach, dessen Inhalt verrät, daß bereits vorher Schritte in dieser Angelegenheit gesetzt worden sein müssen. Tatsächlich weüte Erzberger in der Woche davor in Wien und führte am 20. und 25. März Gespräche mit dem Wiener Erzbischof, Kardinal Piffl, über den er auch einen Vertragsentwurf betreffend die Abtretung des Fürstentums an den Heiligen Stuhl an den Fürsten von Liechtenstein gelangen ließ.

Aus dem Briefwechsel zwischen Erzberger und Gerlach geht hervor, daß man in Rom von dem Projekt geradezu begeistert war. Liebmann erklärt in drei Punkten, warum:

„ 1. Der Hl. Stuhl erlangte hierdurch klar und unbestreitbar eine echte territoriale Souveränität. An eine Ubersiedlung nach Liechtenstein ... war jedoch in gar keiner Weise gedacht.

2. Die Position des Hl. Stuhles gegenüber der italienischen Regierung wäre völkerrechtlich eine wesentlich andere, die .Gnaden-Souveränität' wäre durch eine wirkliche Souveränität ersetzt worden...

3. Die Teilnahme des Hl. Stuhles an den dem Weltkrieg folgenden Friedensverhandlungen wäre mit einem Mal gesichert und der Papst könnte als Souverän seine guten Dienste im Ringen um einen gerechten Frieden anbieten.“

Das römische Lob für Erzberger in einem Brief vom 8. April gipfelt in der Aussage, die bisherigen Projekte zur Lösung der „römischen Frage“ seien bloße „Phantasierereien gewesen“, hier aber handle es sich um „ein positives und durchführbares Projekt“, dessen Gelingen nun ausschließlich von der Haltung des Hauses Liechtenstein abhänge. Die fürstliche Familie würde „als erbliche Reichsverweser ernannt werden“ und der Reichsverweser würde „in der Kirche den Rang wie ein Cardinalbischof erhalten“.

Rom machte Erzberger auch darauf aufmerksam, daß der Hl. Stuhl von sich aus keinerlei Initiativen ergreifen werde, „da die Sache das Aussehen eines freiwilligen Geschenkes aus Liebe zur Kirche haben muß“. Erst nach Unterzeichnung eines beiderseits approbierten Vertrages (in Österreich oder Deutschland), also wenn die Sache perfekt sei, sollte die Öffentlichkeit informiert werden.

Am 14. April antwortete Erzberger, er werde sich ganz an die römischen Richtlinien für die Verhandlungen halten, nur sollte es anstatt Reichsverweser völkerrechtlich besser Statthalter heißen.

Am Montag, dem 17. April 1916, kam Matthias Erzberger als offiziöser vatikanischer Unterhändler ins Wiener Erzbischöfliche Palais, „in Angelegenheit der Orientmission“, wie der offensichtlich nicht in die strikt geheimen Gespräche eingeweihte Sekretär des Wiener Kardinals in sein Tagebuch schrieb. Tatsächlich begannen nun die Verhandlungen mit Mitgliedern der Familie Liechtenstein.

Ein unerwarteter Einwand gegen das Projekt kam von der Schwester des Fürsten Liechtenstein, Gräfin Aloisia Fünf kirchen, daß nämlich „die Liechtensteiner nicht mehr in souveräne Häuser als Ebenbürtige einheiraten könnten“, wenn sie nur noch Statthalter seien.

Kein Kompromiß möglich

Prinz Alois Liechtenstein, der Thronfolger (er verzichtete im Februar 1923 auf die Thronfolge), ließ durchblicken, daß es letztlich nicht auf ihn und auch nicht auf den regierenden Fürsten Johann II., sondern auf dessen Bruder Franz ankomme, und schlug einen nicht akzeptablen Kompromiß vor: Teilung des Fürstentums, wodurch der Papst souveräner Herrscher würde und das Haus Liechtenstein seine Souveränität behalte.

Die Entscheidung fiel schließlich am Ostersonntag, dem 23. April 1916. Tatsächlich zeigte sich der regierende Fürst Johann II. zu einem Souveränitätsverzicht zugunsten des Hl. Stuhles bereit, womit das Projekt einer Verwirklichung nahe schien. Aber der Fürst fügte eilig hinzu, er dürfe es „mit Rücksicht auf die anderen Agnaten“ nicht.

Und maßgebende Liechtensteiner, vor allem Prinz Franz, der Bruder des regierenden Fürsten und 1929 dessen Nachfolger, lehnten das Projekt heftig ab. Prinz Franz, ein erfahrener Diplomat (von 1894 bis 1898 Botschafter Österreichs in Petersburg), wollte erstens nicht auf die Souveränität verzichten, meinte zweitens, daß Italien eine solche Souveränität nicht anerkennen würde, und vermutete drittens Widerstand im Land Liechtenstein gegen eine solche Abtretung.

Folgenden Kompromißvorschlag Erzbergers hielt Prinz Franz „nicht für durchführbar“: der Kaiser von Österreich solle in Österreich liegende Liechtensteinische Güter dem Fürstentum zuschlagen, auf diesen könne das Haus Liechtenstein seine Souveränität behalten, während nur das bisherige Fürstentum abgetreten werde.

Tags darauf teilte Prinz Franz dem Wiener Kardinal die definitive Ablehnung von Erzbergers Projekt durch das Haus Liechtenstein mit. Aufgrund von Erzbergers Bericht legte man in Rom das Projekt nun zu den Akten, obwohl Erzberger selbst noch einige vergebliche Versuche in dieser Causa unternahm.

Fast 70 Jahre später wird nun Johannes Paul II. als Souverän des inzwischen geschaffenen Vatikanstaates jenen Boden küssen, der beinahe einem seiner Vorgänger zugefallen wäre.

1) Quelle: Maximilian Liebmann, Der Papst — Fürst von Liechtenstein, aus: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Band 79, Heft 1-2. S. 93-108, Herder 1984.

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