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200 Jahre Haus-, Hof- und Staatsarchiv

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Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Bestandes des Haus-, Hof- und Staatsarchivs. Herausgegeben von Leo Santifaller. II. Band. Österreichische Staatsdruckerei, Wien.

VIII und 559 Seiten

Während im ersten Band der monumentalen Festschrift des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs die historischen Hilfswissenschaften — Archivkunde, Paläographie und Diplomatik, Heraldik und Genealogie, Quellenkunde — zu Worte gelangten, 6ind im zweiten Band Rechts- und Verfas6ungsgesdiichte, Wirtschaftsgeschichte, Kirchengeschichte, dann allgemeine und österreichische politische Geschichte vertreten. Damit ist das Interesse gegeben, das auch jenseits der engeren Fachkreise diesem Sammelwerk gebührt.

Unter den 34 Beiträgen, deren Verfasser sieben Ländern angehören — Österreich, Deutschland, der Schweiz, Großbritannien, den USA, Griechenland und Ungarn —, ragen die von Stolz, Till, Engel-Janosi, Ohn- sorge und Novotny durch allgemeine Bedeutung des Themas und durch neue Ergebnisse hervor. Otto Stolz, der Innsbrucker • Historiker, untersucht „We6en und Zweck des Staates in der Geschichte Österreichs". Der Autor definiert die Begriffe Reich, Land, Fürstentum, Landesfürst, Landeshoheit, Haus und Hof (de6 Landesherrn), Volk, Landstände, Volksvertretung, Monarchie und Staat. Er schildert den Zweck des Staates und die heutigen wissenschaftlichen Bezeichnungen für die konkreten Formen des österreichischen Staates. Fast zu jeder These des Verfassers hätten wir Anmerkungen zu machen oder Widerspruch anzumelden, doch das hindert uns nicht, den Wert und den Nutzen seiner Übersicht anzuerkennen, nicht zuletzt deshalb, weil sie alle wesentlichen Disku6sionspunkte übersichtlich darbietet. Stolz sieht zum Beispiel das alte Deutsche Reich als Zusammenfassung nach innen selbständiger Gliedstaaten, während wir sowohl historisch als auch staatsrechtlich das Reich als primäre Tatsache auffassen, das theoretisch Erbe des weströmischen Imperiums, faktisch ein. auf dem Weg der Eroberung ausgedehnter Staat der Franken war, in dem sich die einverleib- ten Stammesherzogtümer langsam wieder ihre Sonderstellung, dann ihre fast völlige Selbständigkeit erkämpften. Andererseits erhöht Stolz die Landesfürsten von vornherein zu einer Stellung, die 6ie, von Urtagen her, mit den nur durch tatsächliche Macht, nicht aber juridisch von ihnen geschiedenen anderen Edelfreien (Dynasten) teilten. Es wäre da wohl auf die Forschungen v. Dungerns einzugehen gewesen. Bei den Bezeichnungen für den Staat in der heutigen wissenschaftlichen Literatur vermissen wir den des Feudalstaats und den des Klassenstaats, die in der marxistischen Geschichtsforschung das Feld behaupten.

Friedrich Engel-Janosis glänzend geschriebenen „Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechts" beschäftigen sich mit den beiden unterbliebenen Exklusiven bei Papstwahlen der Jahre 1846 und 1914. Nach dem Tod Gregors XVI. sollte der Mailänder Erzbischof, Kardinal Gaysruck, Einspruch gegen eine Wahl des ehemaligen Staatssekretärs Kardinal Bernetti erheben. Die Mitwelt und viele spätere Historiker . wußten von einm beabsichtigten österreichischen Veto, meinten aber, dieses habe 6ich gegen die Person des damals als Verkörpe rung der italienischen Nationalidee gefeierten Kardinals Ma6tai-Ferretti gekehrt, der hernach wirklich auf den Stuhl Petri erhoben wurde. Engel-Janosi stellt aus den Wiener Akten den wahren Sachverhalt fest. Daraus ergibt 6ich, daß im Konklave das Veto überhaupt nicht angemeldet wurde, da Bernetti ohnedies keine Aussichten hatte. Gegen Kardinal Rampolla, den großen Staatssekretär des großen Papstes Leo XIII., wurde bekanntlich durch den Krakauer Fürstbischof Kardinal Puzyna namens Kaiser Franz Josephs I. die Exklusive ausgeübt, mit der doppelten Wirkung, daß Rampollas 6dion sichere Wahl unterblieb und daß der alsdann erkorene Papst Pius X. sofort das Vetorecht formell aufhob, dabei jeden Kardinal mit der Exkommunikation bedrohte, der künftig sich zum Träger eines derartigen Eingriffes weltlicher Mächte bereit fände. Engel-Janosi zeigt nun, daß bei einem weiteren Konklave Rampolla nicht mehr mit einem österreichischen Nein zu rechnen gehabt hätte. Graf Ährenthal bewog in einem vom Verfasser abgedruckten Vortrag den Kaiser, von einem ferneren Einspruch gegen den nicht mehr als gefährlichen Franzosenfreund zu beseitigenden Kardinal abzusehen.

Von den anderen Beiträgen zur Festschrift nennen wir noch Paul R o t h 6 Schilderung der „Baslerisch-Vorderösterreichischen Schifffahrtsstreitigkeiten 1760 —1765“, Walter Goldingers leider die polnischen Quellen und die polnische Literatur nicht benützende Abhandlung über den Renaissancediplomaten Paul von Oberstein, Karl F e i 1 e r s Arbeit über den Erbauer der Semmeringbahn Karl von Ghega (wir vermissen Hinweis auf dessen albanische Herkunft) und eine Rechenschaft über den Stand der Burgenkunde von Josef Weingartner.

Zwei Aufsätze aber 6eien darum hervorgehoben, weil 6ie aus scheinbar nebensächlichen Stoffen reichen Gewinn ziehen. Heinrich Benedikt, der vortreffliche Wiener Neuhistoriker, führt uns über den österreichischen Staatsvertrag mit Neapel von 1759 mitten in das diplomatische Getriebe des intrigantesten aller Jahrhunderte. Walter Sturminger beschäftigt 6ich, bester Kenner der Wiener Türkenbelagerung von 1683, mit den beiden Kundschaftern, die damals zwischen der belagerten Stadt und dem Entsatzheer die Verbindung herstellten. Dabei kommt allerdings der Serbe Michajlovic besser fort als der arme „Bruder Herz“, Kul- czycki, aus dem die Wiener einen Kolschitzky machten. Sturminger hegt zu Unrecht Zweifel über Kulczyckis Abkunft. Er gehörte einwandfrei dem ursprünglich ruthenischen (ukrainischen), dann polonisierten Kleinadel des Wappens Sas an, war in der Gegend von Sambor geboren, wo die Kuiczyoki bis ins 20. Jahrhundert blühten. Einer von ihnen war zu Anfang des 19. Jahrhunderts Bürgermeister von Sambor.

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