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Die Savoyer und der Heilige Stuhl

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König Humbert II. von Italien weilte bei Pius XII. in einer Abschiedsaudienz, die ungeachtet ihres privaten Charakters mit einer gewissen Feierlichkeit des Zeremoniells vor sich ging. In feinfühliger Weise wollte der Apostolische Stuhl dadurch andeuten, daß er sich der ganzen Wende, die mit der Änderung der Staatsform verknüpft ist, bewußt war. In solchen Momenten besagt die allgemein bekannte Wahrheit, daß die Kirche sich mit den verschiedensten Staatssystemen abfinden und mit ihnen auskommen kann, wenn das Naturredn, das Jus Divinum sowie die Freiheiten und Rechte der Kirche gewahrt bleiben, recht Wichtiges, aber nicht alles. Der Historiker kann den entscheidenden Wechsel in der höchsten Staatsrepräsentanz Italiens nicht ohne einen Kommentar lassen, dem etwas von der Silhouette der Geschehnisse auch letzter Jahre anhaftet. Hätte Viktor Emanuel III. auf die Warnungen Pius' XII. gehört, Italien nicht am Kriege teilnehmen zu lassen, so wäre das Schicksal seiner Dynastie ein anderes gewesen. Es gibt noch keine veröffentlichten Dokumente, die von den Versuchen des Heiligen Vaters auf König Viktor Emanuel, im Sinne der Neutralität einzuwirken, einen detaillierten Aufschluß geben. Nur die 1945 in der vatikanischen Drudierei erschienene halboffiziöse Schrift „L'o pera di pace d e 11 a S a n t a S e d e e l'I t a 1 i a“ berichtet unter anderem gedrängt davon, daß Pius XII. sich für den Frieden am 21. Dezember 1939 beim Besuche des Königs und der Königin von Italien beim Vatikan einsetzte und am 28. Dezember, als er selbst dem Herrscherpaar im Quirinal einen Gegenbesuch machte.

Der alte König war kein sonderlich günstiges Objekt zur Aufnahme solcher Ratschläge. Er war zwar nüchtern und klüger in der Beurteilung außenpolitischer Verhältnisse als Mussolini — die umfangreiche neuere italienische Memoirenliteratur bezeugt es — aber ihm fehlte der durchgreifende Wille. Er legte zu viel Gewicht auf geschicktes, aber doch behelfsmäßiges Lavieren in politischen Krisen, wo vor allem die Größe der Gesamtauffassung und die Entschlußkraft die Rettung bedeutet hätten. Persönlich korrekt, konnte sich Viktor Emanuel III. doch nie recht von der dumpfen Luft des religiösen Indifferenrismus freimachen, die er in seinen jungen Jahren in sidi aufgenommen hatte. Beim Abschluß der Lateranverträge begriff er zwar wohl deren entscheidende Tragweite, war aber in Einzelheiten bisweilen ein mehr retardierendes Element als Mussolini.

Sein Sohn Umberto stand religiösen Fragen und kirchlichen Interessen weit verständnisvoller und positiver gegenüber. Wäre es möglich gewesen, für ihn die Krone zu retten, was nach der furchtbarsten Katastrophe in der Geschichte Italiens von vornherein unwahrscheinlich erschien, so würde er sich als Monardi für die beste Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche eingesetzt haben. Die Würfel der Volkswahl haben anders entschieden. Wie sooft in der Geschichte zahlt der Nachfahre die moralische Schuld ab, die die Voreltern auf sich geladen haben. Das letzte Glied einer Schicksalskette hat sich gesdilossen, an dessen Anfang Viktor Emanuel II, in seinem unheilvollen Konflikt mit Pius IX. stand. Die Tore einer neuen Zeit sind aufgebrochen! Italiens Volk will das Steuer des Staats-schiffes selbst in Händen halten. Die Krone war ihm unter dem Faschismus eben zu wenig Garant unveräußerlicher Volks- und Persönlichkeitsrechte.

Die Katholische Aktion Italiens hat seit Wochen als verantwortungsvoller Exponent des religiösen Katholizismus durch Aufstellung ethischer und religiöser Postulate das Gebiet der für die Katholiken in der heutigen Lage unerläßlichen Forderungen und Garantien für die kommende verfassunggebende Nationalversammlung aufgestellt. In einer Aufsatzreihe hat der „Osservatore Romano“ sich zum Interpreten des Manifestes der Katholischen Aktion gemacht und folgende Themen ausführlich behandelt: „Die Hodiachtung vor der menschlichen Person“, „Die Kirche und das öffentliche Leben“, „Die Wahrung der Rechte der Familie und Probleme der Schule“. Man muß anerkennen, daß das Organ des Heiligen Stuhles in so manchen Artikeln ein getreues Spiegelbild der seelischen Eigenart des italienischen Volkes in seinen Aufführungen mit großer Sorgfalt zwischen dem echten konservativen Sinn, gepaart mit sozialem Fortschritt, die beide zu den Auswirkungen der Religion auf das Gemeinschaftsleben gehören, und einem Legitimismus, der den Thron zu nahe an den Altar heranrückt, eine wesensmäßige Scheidungsline gezogen hat. Schon Leo XIII. wies auf sie hin, als er den Katholiken Frankreichs empfahl, zur republikanischen Staatsform eine positve Einstellung zu finden. Die vatikanische Zeitung hat in ihrem Kommentar vom 7. Juni zum Beginn der republikanischen Ära in Italien weise und verständnisvolle Worte gefunden. (

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