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Liechtenstein für den Papst

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Keine Skurilität, wie bisher vielfach angenommen, sondern sehr ernst gemeint war 1916 ein Versuch, die „römische Frage" (Papst ohne souveränen Kirchenstaat) so zu lösen, daß ihm das Fürstentum Liechtenstein geschenkt würde. Uber dieses Ergebnis seiner jüngsten Forschungen referierte der Grazer Kirchenhistoriker Univ.-Prof. Ma-

ximilian Liebmann dieser Tage im Kolleg Campo Santo Teutoni- co in Rom. Dabei zitierte er u. a. ein Schreiben des Vatikans an den Verlag Bachem aus 1916, in dem es hieß:

„Der Papst ‘muß ein wirklicher Souverän sein und nicht ein solcher, dem durch die Gnade eines Staates oder auch aller Staaten lediglich nur souveräne Ehrenrechte zugebilligt werden; das wäre unwürdig für das Oberhaupt der Kirche!… “

Solche Worte in einem vatikanischen Schriftstück vom 12. März 1916 animierte und motivierte einen Mann zu einem völlig neuen Vorschlag: nämlich den fünf Jahre später am 26. August 1921 im Schwarzwald ermordeten, äußerst einflußreichen Zentrumspolitiker Matthias Erzberger.

Wer aber war der Verfasser des zitierten vatikanischen Schreibens? Kein Zweifel: Die notwendige Vertrauensstellung beim Papst hatte für die Mittelmächte (Deutschland und Österreich- Ungarn) allein der päpstliche Kammerherr und Benedikts XV. Privatsekretär, der aus Baden- Baden stammende Msgr. Rudolf von Gerlach.

Es spricht vieles dafür, daß dieses Projekt, dem Hl. Stuhl zu seiner so sehr angestrebten Souveränität mittels Abtretens des souveränen Fürstentums Liechtenstein an den Papst zu verhelfen, von Erzberger stammt und sogar seine ureigenste Idee war. Ebenso kann es sein, daß diese Idee spontan kreiert wurde bzw. „aus heiterem Himmel kam“ und man im Vatikan zunächst völlig überrascht war.

Feststeht hingegen, daß diesem Brief einerseits schon einiges — zumindest an Gesprächen — vorausgegangen sein muß und andererseits, daß man im Vatikan bei aller Überraschung für diese Idee weitestgehend disponiert war. Nur so wird voll erklärlich, daß Erzberger bereits eine Woche später (4. April) aus dem Vatikan ei ne Antwort von Gerlach erhält:

„Der Plan ist großartig, da dann mit einem Mal die vielen Schwierigkeiten betreff Anerkennung der päpstlichen Souveränität wegfallen und der Papst so wie alle anderen territorialer Souverän sein wird."

Erzberger wird im selben Schreiben förmlich aufgefordert, „nochmals nach Wien“ zu Unterhandlungen zu reisen und „dann einen Vertragsentwurf anzufertigen“ und diesem dem Hl. Vater zur Approbation einzusenden.

Derartige frühere Sondierungsgespräche Erzbergers in Wien lassen sich im Bereich des Fürsterzbischofs Kardinal Piffl direkt nachweisen. So führte er am 20. und am 25. März mit dem Wiener Kardinal Gespräche, und am 31. März hat dessen Sekretär in seinem Tagebuch vermerkt, daß nach dem Scheitern diverser Kirchenstaatsprojekte „man an das Fürstentum Liechtenstein“ denke: „Der Papst solle als Souverän und Liechtenstein als dessen Statthalter in diesem Lande gelten“ ,..

Im Vatikan scheint man für dieses Projekt geradezu euphorisch begeistert gewesen zu sein, weil die Liechtensteinsche Lösung mit einem Schlag drei Prinzipien gerecht würde:

1. Der Hl. Stuhl erlangt hierdurch klar und unbestreitbar eine echte territoriale Souveränität. An eine Übersiedlung aus Rom nach Liechtenstein, als ob in Zukunft in Vaduz der Vatikan sich befinden soll, war nie gedacht.

2. Die Position des Hl. Stuhles gegenüber der italienischen Regierung ist völkerrechtlich eine wesentlich andere, die „Gnaden- Souveränität“ weicht der wirklichen. Damit sind die Verhandlungspositionen des souveränen Hl. Stuhles mit der italienischen Regierung über die vatikanischen Besitztümer und Territorien in Rom ungleich verbessert.

3. Die Teilnahme des Hl. Stuhles an den dem Weltkrieg folgenden Friedensverhandlungen ist mit einem Mal gesichert und der Papst kann als Souverän seine guten Dienste anbieten.

Nach intensiven Verhandlungen, die Erzberger in Wien unter der Ägide von Kardinal Piffl mit Mitgliedern der fürstlichen Familie Liechtenstein führte, scheiterte das Projekt am Widerstand nicht des Regierenden Fürsten Johannes II., sondern an dessen Bruder, Prinz Franz, der sich davon nur Nachteile für das eigene Haus und keinen Vorteil für den Papst erwartete.

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