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„Boche“ und Franzosenpapst

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Aus diesem Dokument geht ganz eindeutig hervor, daß der Papst nicht „einen“ Frieden wollte, im Interesse eines Staates oder einer Staatengruppe, was wiederum nichts anderes gewesen wäre als Befriedigung der Rachsucht und maßloser Gier — er wollte „den“ Frieden, der, hohen sittlichen Anforderungen entsprechend, das wahre Wohl und die ruhige Entwicklung beider kriegführender Parteien dauernd begründete.

Aber gerade diese Unparteilichkeit bestimmte Benedikt, auf keiner Seite zu stehen, und wer auf keiner Seite steht, sondern vermittelnd in der Mitte zu stehen trachtet, wird von beiden Seiten als Feind betrachtet.

So nannten die Franzosen Benedikt „Le pape boche“, und in den Augen der Deutschen war er „der Franzosenpapst“. Aber er ließ sich dadurch von seiner „Offensive des Friedens“ nicht abbringen.

Inzwischen bemühte sich der Papst auch in der Kriegsfürsorge. Er verhandelte seit November 1914 mit den Mächten und schlug ihnen am Silvestertag 1914 den Austausch der kriegsunfähigen Kriegsgefangenen vor, der im Frühjahr 1915 begann und mehr als 10.000 in die Heimat führte. Am 11. Jänner 1915 schlug er die Befreiung und den Austausch von Zivilgefangenen vor, worauf aus französischen besetzten Gebieten in einem Monat 20.000 Franzosen nach Südfrankreich entlassen wurden. Nachdem am 1. Mai 1915 Verhandlungen über dienstuntaugliche und kranke Kriegsgefangene begonnen hatten, kamen seit Jänner 1916 viele lungenkranke Soldaten in Sanatorien der Schweiz. Seit dem 23. August 1915 arbeitete Benedikt für die Sonn- und Feiertagsruhe der Gefangenen, worauf im Herbst desselben Jahres zusagende Antworten aller Kriegführenden einliefen. Seiner Sorge gelang in mehreren Fällen die Aufhebung gefällter Todesurteile, die Milderung von Strafen, die Freilassung und Heimkehr von Geiseln, die Nachforschung nach Vermißten, die Sendung von Lebensmittelsammlungen für Belgien, Polen, Montenegro und die besetzten italienischen Gebiete wie die Zuteilung von Geldspenden an die deutschen Kriegsgefangenen in Rußland und an die nctleidende Bevölkerung in Ost-preuß-n, Polen, Litauen, Serbien, Montenegro, Syrien und an die Ru-thenen. Dazu wurden in Italien selbst mehrere italienische Lazarette errichtet.

Die erste Stunde Pacellis

Im Frühsommer 1917 schien dem Heiligen Vater der Zeitpunkt günstig, mit einem scharf umrissenen Friedensentwurf an die kriegführenden Mächte heranzutreten. Diese Vermittlung war aber nicht der Beginn, sondern vielmehr der Höhepunkt bzw. Abschluß seines früh erwogenen und sorgfältig vorbereiteten Friedensunternehmens. Dabei wollte Benedikt vor der förmlichen Übergabe der Friedensvorschläge sich durch persönliche Fühlungnahme mit den einzelnen Regierungen vergewissern, wie weit seine vermittelnden Vorschläge wirklich Aussicht auf Erfolg hätten. Zu diesem Zweck akkreditierte er 1917 Eugenio Pacelli, den bedeutendsten Diplomaten der römischen Kurie, als Nuntius in München, dem damals wichtigsten Auslandsposten. — Nach entscheidenden Besprechungen Pacellis mit dem deutschen Reichskanzler Bethmann-Hollweg und dem Kaiser Wilhelm IL, vor allem über die belgische Unabhängigkeit, ließ Benedikt am 1. August 1917 den kriegführenden Mächten seine offizielle Friedensnote zustellen, die in sieben Punkten einen konkreten Friedensvorschlag enthielt: Freiheit der Meere, Rüstungsbeschränkung, internationales Schiedsgericht, Rückgabe der jetzt besetzten Gebiete: Nordfrankreichs, Belgiens und der deutschen Kolonien, Regelung wirtschaftlicher Gegensätze, Grenzfragen, Österreich-Italien und Frankreich-Deutschland betreffend, Polen und Serbien. — Aber diese Gedanken fanden keinen positiven Widerhall. Die Entente blieb hartnäckig, während die innenpolitischen Vorgänge in Deutschland vom 9. bis 20. Juli 1917, die zum Sturze Bethmann-Hollwegs führten, die Grundlagen völlig verschoben, auf denen die päpstliche Note vom 1. August aufgebaut war. — Nach dem Scheitern dieser Bemühungen mußte sich der Papst darauf beschränken, die verschiedensten Hilfsaktionen für alle Notleidenden zu starten, die zu einem in der Welt- und Kirchengeschichte einmaligen Zeugnis päpstlicher Liebestätigkeit wurden. Was hier während und nach dem Krieg für die Kinder Österreichs und Deutschlands getan wurde, ist „der größte Ruhmestitel“ (H. Kühner) seines Pontifikates. — Nach dem Versailler Frieden, dessen 440 Friedensartikel er als „Kriegs-artikel“ verurteilte, mahnte er immer wieder, es gebe keinen echten Frieden, solange der Haß unter den Völkern nicht schwinde, und in einem eindringlichen Brief an Kardinal Amette von Paris zur Einweihung der Herz-Jesu-Basilika auf dem Montmartre im Oktober 1919 schrieb er: „Die Nächstenliebe muß sich auch auf unsere Feinde ausdehnen. Das ist die echte Herz-Jesu-Verehrung. Das ist das Gebot, auf dem die ruhige Sicherheit der menschlichen Beziehungen und der Friede der Völker als auf seiner Grundlage ruht.“

Innerkirchlich von Bedeutung waren die Approbierung des neuen Codex iuris canonici im Jahre 1917, die Gründung des Orientalischen Instituts im selben Jahr, die Neuordnung und Wiederaufrichtung des Missionswesens, die Errichtung der katholischen Universitäten in Lublin und Mailand, die Enzykliken zum sechshundertsten Todestag Dantes, wie die Rundschreiben über den heiligen Hieronymus und heiligen Dominikus. Dazu kamen die wesentliche Hebung der internationalen Stellung des Papsttums wie die neuen Wege, die Benedikt zur Lösung der römischen Frage einschlug.

Nun ruht Benedikt vierzig Jahre in den Grotten von St. Peter zu Rom in einem Grabmal, das ihm „sein Bologna“ bereitete — zu seiner Seite schläft Pius VI., der „Apostolische Pilger“ der Revolutionsjahre, der große Dulder des Papsttums. — Beide sind sich in ihrer duldenden und oft verkannten Liebe ähnlich, und bei beiden ist man versucht, an die Worte zu denken, die einst Hadrian VI. auf sich anwandte: „Wieviel kommt es doch darauf an, in welche Zeit auch des trefflichsten Mannes Wirken fällt.“ Aber dies hieße, Benedikt hätte in einer Friedenszeit mehr wirken können als in diesen kurzen siebeneinhalb Jahren seines von Krieg erfüllten Pontifikats — und damit würde man an der wahren Größe seiner ihm von Gott zugedachten Aufgabe vorbeisehen.

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