Im Olymp der Computerbranchee

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Sie zählen zu den weltweit gesuchten, hochbezahlten Experten - die indischen Informationstechniker und Computeringenieure. Die furche war in einem Ausbildungszentrum in Indiens Hauptstadt Delhi.

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Sie zählen zu den weltweit gesuchten, hochbezahlten Experten - die indischen Informationstechniker und Computeringenieure. Die furche war in einem Ausbildungszentrum in Indiens Hauptstadt Delhi.

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Er hat die Qual der Wahl. Soll Sami Achter, ein 23-jähriger Elektrotechnik-Student, zu Delhisoft in die indische Computer-Metropole Bangalore gehen oder lieber nach London zum Technologie-Konzern Schlumberger? Beide Angebote hat er bereits in der Tasche, dabei hat sein letztes Semester noch nicht einmal begonnen. Nur eins ist für ihn sicher: er wird als Netzwerktechniker arbeiten und viel Geld verdienen. Schlumberger bietet ihm ein Einstiegsgehalt von über 1,2 Millionen Schilling im Jahr. "Das ist ein guter Start" meint Sami Achter bescheiden, doch er weiß, dass er zu den gesuchtesten Köpfen weltweit zählt. Seine exzellenten Karrierechancen verdankt er dem IIT, dem Indian Institut of Technology. Das indische Wochenmagazin Outlook nannte sie "Nehrus größtes Geschenk an seine Nation" - die sechs Indian Instituts of Technology in Kharagpur, Bombay, Madras, Kanpur, Delhi und Guwahati. Es sind technische Universitäten der Spitzenklasse. Bislang hat man international kaum Notiz von ihnen genommen. Indien galt als rückständiges Dritte-Welt-Land. Doch mit dem globalen Boom der Informationstechnologie (IT) änderte sich diese Einschätzung schlagartig. Den indischen Computeringenieuren traut man heutzutage Wunderdinge zu, wie vordem nur den indischen Yogis und Fakiren.

Dass das indische Software-Wunder kein billiger Seiltrick ist, sondern Realität, belegen die Zahlen. Im Jahr 2000 verdiente Indien mit Software-Exporten 6,3 Milliarden US-Dollar. Laut Azim Premji, dem Vorstand des Software-Hauses Wipro, habe die IT-Branche in den letzten fünf Jahren mehr Millionäre geschaffen als die ganze indische Industrie in den vergangenen 50. Und die sechs IITs haben mehr undergraduate-Studenten zum Millionärsdasein verholfen als jede andere Institution der Welt.

Auf der Rangliste der besten Software-Unternehmen weltweit, die von der Carnegie Mellon Universität in den USA erstellt wird, rangieren unter den ersten 32 Unternehmen 17 aus Indien. Alle Prognosen deuten auf ein weiteres enormes Wachstum des indischen IT-Sektors hin. Indien ist für dieses Wachstum bestens gerüstet, denn es ist reich am wichtigsten Rohstoff, an gut ausgebildeten Menschen. Jedes Jahr verlassen 120 000 Ingenieure die indischen Universitäten, hinzu kommt Jahr um Jahr fast eine Million Techniker mit Grundkenntnissen des Programmierens. Zum Vergleich: Die USA bilden jährlich 75.000 Ingenieure aus.

Amerikanische head-hunter machen sich daher auf nach Indien, um Mitarbeiter zu rekrutieren. Die erste Adresse dabei sind die sechs IITs. Sie sind im Vergleich zu den anderen technischen Universitäten des Landes finanziell und personell deutlich besser ausgestattet. Das Fächerangebot ist an allen IITs vergleichbar: Verschiedene Ingenieurwissenschaften wie Elektrotechnik, Maschinenbau und Computerwissenschaften. Doch egal, welches Fach man wählt, "fast alle Absolventen landen in der Computerindustrie" meint G.V. Rao, Chemie-Professor am IIT Delhi. "Der Markt ist derzeit einfach unersättlich."

Die hohe Ausbildungsqualität der IITs wird international anerkannt. Beim letzten Ranking der Wochenzeitschrift Asiaweek, in dem 40 wissenschaftliche und technische Hochschulen aus Japan, Korea, Australien und anderen asiatischen Ländern bewertet wurden, waren auf den ersten acht Rängen alle alle fünf IITs zu finden (das jüngste in Guwahati ausgenommen).

Karges Leben "Einfaches Leben - hoher Geist" steht als Motto in der Eingangshalle des IIT. Die Atmosphäre hier hat etwas klösterlich-spartanisches an sich. In der Mensa bekommt man lauwarmes Essen auf das Blechtablett geklatscht, die Zimmer der Wohnheime sind klein und muffig, Badezimmer mit Warmwasser Mangelware, und von den Wänden bröckelt der Putz.

Die bescheidenen Wohnverhältnisse und eine Studiengebühr von 8.000 Schilling im Jahr schrecken niemanden ab. Jeder weiß, wer Zugang zu diesem Olymp der Computerbranche gefunden hat, braucht sich in seinem Leben um Geld keine Gedanken mehr zu machen. Der Weg dorthin ist aber steinig. Allein für das Bachelor of Technology-Programm treten jedes Jahr über 150.000 Bewerber aus ganz Indien an. Tests in Mathematik, Chemie und Physik trennen die Spreu vom Weizen. Letztlich dürfen sich nur 3.000 zu den "Auserwählten" zählen. Sie werden nach dem Testergebnis gereiht und auf die sechs Institute verteilt. Je nach Rang kann man sich das Studienfach und den Studienort auswählen.

Dichtes Programm Um hier in Delhi Computer Science & Engineering studieren zu können, so Anshul Kumar, der Leiter des Instituts, müsse man unter den ersten 200 sein.

Die meisten Bewerber bereiten sich ein oder zwei Jahre lang intensiv auf die Prüfung vor. Auf seinen Lorbeeren ausruhen kann sich hier allerdings niemand, denn die Studenten erwartet ein sehr dichtes Programm. Von acht Uhr morgens bis nachmittags um fünf Uhr finden die Vorlesungen und Übungen statt. Nach dem Unterricht gehen die Lichter in den Studier- und Computerzimmern lange nicht aus, in manchen Nächten nie. fünf bis sechs Stunden Selbststudium pro Tag sei die Regel, obwohl es manche auch mit 1-2 Stunden am Tag schaffen. "Doch während der Prüfungszeit", so Elektrotechnik-Student Sami Achtar, "tut hier kaum einer ein Auge zu."

Die Industrie schätzt die praxisnahe Forschung der IITs und finanziert allein in Delhi 25 Lehrstühle. Motorola, Philipps und Intel stellen dem IIT Computer-Labore zur Verfügung, berichtet Direktor Prem Vrat. "Bill Gates finanziert hier in Delhi den einzigen Microsoft-Lehrstuhl außerhalb der USA. Auch der Chef von McKinsey international, Rajat Gupta, sponsert einen Lehrstuhl." Rajat Gupta ist einer der berühmtesten IIT-Absolventen und der erste nicht-Amerikaner auf dem Chefsessel der internationalen Consulting-Firma McKinsey. Rund 20.000 IIT-Absolventen arbeiten derzeit in den USA, viele im Silicon Valley. Früher mussten sie nach der Ausbildung in Indien erst weitere Studien am MIT, in Stanford oder Berkeley absolvieren, um einen Arbeitsplatz in den Top-Unternehmen zu finden. Doch mittlerweile hat sich ihre Qualität herumgesprochen. Die Unternehmen kommen nach Indien, um sich nach künftigen Mitarbeitern umzusehen.

Nach Deutschland, wo man sich im Rahmen der Green-Card-Aktion eifrig um die indischen IT-Experten bemüht, zog es bisher nur sehr wenige. Viele IIT-Studenten empfinden die Frage, ob sie nicht nach Deutschland gehen wollten, fast wie ein unsittliches Angebot. Einerseits gäbe es da die Sprachbarriere, dann die Nachrichten von fremdenfeindlichen Entwicklungen und ausserdem sei man hier, in Indien, am hot spot. Und wenn schon ins Ausland, dann nach England oder ins Silicon Valley.

Chemie-Professor G.V. Rao hat sich hingegen in Deutschland sehr wohl gefühlt. "Das Wertesystem dort ist dem unseren sehr ähnlich, in den USA hingegen ist es ganz anders. Dorthin geht man in erster Linie, um Geld zu verdienen, doch Deutschland wird man mit der Zeit sehr anziehend empfinden." Es sind auch keine deutschen Firmen auf dem Campus präsent, um die Studenten zu überzeugen. Die Silicon-Valley-Unternehmen hingegen haben den Wert der Absolventen längst erkannt.

Jim Clark, Mitbegründer von Silicon Graphics und Netscape, hat seine Erfolgsstrategie einmal so beschrieben: "Rekrutiere so viele ITT-ler, wie du nur finden kannst."

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