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Powergame um das Amt des EU-Präsidenten

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Beim Gerangel um die Nachfolge des Kommissionspräsidenten der EU geht es um mehr als nur Prestige-Positionen.

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Beim Gerangel um die Nachfolge des Kommissionspräsidenten der EU geht es um mehr als nur Prestige-Positionen.

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Seit langem hatte ihm seine Unterhausfraktion nicht mehr so anerkennend auf die Schulter geklopft. Ein toller Bursche, unser John Major. Der hat es denen wieder einmal so richtig gezeigt. Der britische Premier genoß den innenpolitischen Erfolg, den ihm sein Lieblingsspiel „Querlegen" wieder einmal eingebracht hatte: Ende Juni, in Korfu, in einer besonders wichtigen Sache. Wer soll den scheidenden Kommissionspräsidenten Jacques Delors beerben? Das Tandem Helmut Kohl und Francois Mitterrand wollte - ohne rechtzeitig Koalitionspartner zu suchen - den belgischen Ministerpräsidenten Jean-LucDehae-ne durchbringen. Letztlich stimmten zwar elf der zwölf Mitglieder des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs für Dehaene. Einige wußten aber ohnehin, daß John Major mit einem Veto das Spiel verderben würde... Seither tauchen neue Namen auf und wieder unter: Von Hans-Dietrich Genscher über den luxemburgischen Ministerpräsidenten Jacques Santer bis hin zum früheren belgischen Regierungschef Wilfried Martens.

Aber das ist nur die Pawlatschen-Version des Theaters. In Wirklichkeit steckt mehr dahinter als nur Prestige-Positionen:

Natürlich war es für Helmut Kohl wichtig, den Wunschkandidaten Frankreichs zu unterstützen. Schließlich sollte nach einigen deutsch-französischen Verstimmungen die „Chemie" zwischen den beiden wieder in Ordnung kommen. Dies gelang deshalb auch so gut, weil der vom Sozialisten Mitterrand protegierte Dehaene ein belgischer Christdemokrat ist. Freilich, die belgischen Christdemokraten sind keine Konservativen. Sie haben eine christlich-soziale Schlagseite. Deswegen paßt Dehaene auch gut in die Schuhe des katholisch-sozialdemokratischen, „Sozialen Markwirtschafters" Jacques Delors. Allein deswegen konnte Dehaene den Briten nicht passen. Sie sind ja - solange Labour nicht wieder an die Macht kommt - für eine „Marktwirtschaft ohne Adjektiv".

Aber es geht um mehr: In der vergrößerten EU ist das Machtspiel am Ratstisch etwas komplizierter als bisher. Es wird wichtiger, wer Kommissionspräsident ist, welche Staatengruppe oder Abstimmungskoalition ihn zum Partner gewinnen kann. Schließlich ist der Präsident nicht nur bloß ein Protokollführer am Ratstisch, sondern er hat eine Schlüsseholle. Sie besteht darin, daß „Mehrheitsbeschlüsse" nur dann möglich sind, wenn er dazu grünes Licht gibt. Außerdem ist er der einzige in der Runde, der sich „zu Hause ' nicht verantworten muß. Er soll nach bestem Wissen und Gewissen „das Richtige für die ganze Gemeinschaft" vertreten.

Es kommt also wirklich drauf an, welcher Typ Berufseuropäer diese Funktion bekommt. Schon in Maastricht wurde vereinbart, daß nur ein ehemaliger Regierungschef dafür in Frage kommt.

Die Funktion ist auch inhaltlich wichtig; es geht um gesellschafts-und wirtschaftspolitische Weichenstellungen in den nächsten Jahren. Und die finden nur im Rat statt. Das Vermächtnis („Weißbuch") von Jacques Delors predigt Deregulierung, Innovation, Flexibilität. Das hätte auch Ruud Lubbers, dem niederländischen Ministerpräsidenten und zurückgetretenen Gegenkandidaten von Dehaene gepaßt. Aber es steht auch anderes darin: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch gemeinsame Infrastrukturprojekte wie transeuropäische Verkehrs-, Energieoder Informationsnetze... Alles Dinge, die in den Ohren Dehaenes schöner klingen, denn solche Projekte kommen auch schwächeren Volkswirtschaften zugute. Lubbers ist außerdem ein Fan einer „Rein-aber-fein"-EU. Für ihn war schon die Einbeziehung Ostdeutschlands kein Grund zur Freude; die „Osterweiterung" der Europäischen Union wäre das erst recht nicht.

Bonn und Paris wollen in den nächsten Jahren an einem Strang ziehen. Auch deshalb muß der zukünftige Kommissionspräsident aus einem kleineren Drittland kommen. Wahrscheinlich wäre Winfried Martens nach dem Geschmack des Tandems. Auch ein Belgier. Und aus dem gleichen Stall wie Dehaene.

Das nächste Powergame um den Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten ist für 15. Juli angesagt. Bei einem Sondergipfel in Brüssel.

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