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Der Saal der Gobelins im Musée Imaginaire
Wandteppiche, korrekt: Tapisserien, nach der Manufaktur der französischen Familie Gobelin gern auch Gobelins genannt, waren einst der ebenso kostspielige wie selbstverständliche Ausdruck höfischen und hocharistokratischen Lebensstils, entsprachen dem Lebensgefühl dieser Schichten und dienten ihrer Repräsentation.
Auch in Zeiten, in denen die menschliche Arbeitskraft spottbillig war, erforderte die Herstellung von Tapisserien einen so hohen Zeitaufwand hochqualifizierter und daher vergleichsweise teurer Fachleute, daß die Exklusivität hochwertiger Gobelins in all den Jahrhunderten, in denen diese Kunst und das ihr dienende Kunsthandwerk blühte, niemals in Frage stand.
Eine Soziologie der Tapisserie, eine Betrachtung ihrer Entwicklung und ihrer sozialen Funktion unter diesen, nämlich den Gesichtspunkten der Ökonomie und der repräsentativen Exklusivität, wäre ein reizvolles Projekt. Vielleicht unterzieht sich ein -mal jemand dieser Aufgabe.
Das neue Standardwerk über die „Europäische Tapisseriekunst des 17. und 18. Jahrhunderts" von Dora Heinz wird dafür möglicherweise den einen oder anderen Baustein liefern. Wir erfahren zum Beispiel, wie die Qualitätskontrolle der Gobelins objektiviert wurde, aber auch viel über das hochdifferenzierte Teamwork in den Manufakturen.
Vor allem aber wird hier, nach einer erheblichen zeitlichen Lücke, wieder einmal das gesamte Wissen zum Thema unter Berücksichtigung der Forschungen der letzten Jahrzehnte, also auf jüngstem Stand, vorgelegt. Das war längst fällig, eine Reihe widriger Umstände (Krankheit der Forscherin, Tod des Herausgebers, Finanzierung der Drucklegung) führte zu erheblichen Verzögerungen.
Für die Systematik des Werks wurde ein Kompromiß gefunden. Eine konsequent dem zeitlichen Ablauf der Entwicklung folgende Darstellung hat den Nachteil, daß darin die so wesentliche Darstellung der Eigenarten der Tapisseriekunst in den einzelnen Ländern und der einzelnen Manufakturen untergeht. Die Darstellung der Tapisseriekunst der Länder und Manufakturen wiederum, konsequent verfolgt, wird dem Thema deshalb nicht gerecht, weil dabei, so Heinz, „die Entwicklung der Tapisseriekunst da viele Ateliers durch Jahrzehnte tätig waren - die zeitliche Abfolge der Werke verunklärt" werde.
Sie entschied sich daher für eine Zweiteilung, wobei in Kapiteln über die Tapisseriekunst des 17. und des 18. Jahrhunderts die Länder und Manufakturen das Ordnungsprinzip bilden, dabei aber nach Generationen gegliedert wurde. Dieses Prinzip erweist sich wohl vor allem für den Nichtfach-mann als nützlich. Das Buch macht es ihm leicht, die individuellen Eigenarten der Künstler und die Bedeutung der Manufakturen zu erfassen, dabei aber die Mainstreams der europäischen Gobelinkunst nicht völlig aus dem Auge zu verlieren.
Im übrigen ist dieses Werk aber ein großer, wichtiger, neu gruppierter und wieder zugänglich gemachter Saal im „Musee Imaginaire". So nannte bekanntlich Andre Malraux die Fülle jener Kunstschätze, die uns vor allem durch Kunstbände zugänglich gemacht werden. Nicht einmal der Wiener hat ja, aus konservatorischen Gründen, Zugang zum in Wien vorhandenen, besonders großen Tapisserienbestand von nicht weniger als rund 800 Stück: Besonders das Licht setzt den Gobelins arg zu.
In diesem Museum finden wir manchen bekannten Meister wieder-etwa Francisco Goya, der auch ein vielbeschäftigter Entwerfer von Wandteppichen war und sich hier vor der freundlichen, der Folklore zugeneigten Seite zeigte. (Bild links: Goya, „Pelele", königliche Manufaktur Madrid, 1791/92) Auch für die Gobelinkunst gilt: Grundlage jeder Kennerschaft ist das Schauen. Ein kundiger Führer bewahrt uns dabei vor manchem Trugschluß und macht uns auf manches aufmerksam, was leicht übersehen wird. Dora Heinz ist ein solcher Führer, ihr Werk daher weit davon entfernt, nur für Experten interessant zu sein.
EUROPÄISCHE TAPISSERIEKUNST
Des 17. und 18. Jahrhunderts - Die Geschichte der Produktionsstätten und ihre künstlerischen Zielsetzungen. Von Dora Heinz, höhlau Verlag Wien 1995. 410 Seiten, 147 Schwarzweiß-Abbildungen, )2 in Farbe, Ln, öS 1.176,-
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